Titel: Sternensammler

Genre: Boys‘ Love, Drama, Romance, Slice of Life, School Life

Zeichnungen / Story: Anna Backhausen / Sophie Schönhammer

Bände: 10 (Sammleredition) bzw. 2 (Sammelände) / abgeschlossen

Verlag: TOKYOPOP

Erscheinungsjahr des 1. Bandes: 2016

Erotische Szenen: ❤

Auch für Sternensammler gibt es eine Leseprobe von TOKYOPOP. Hier seht ihr das Cover des ersten Hefts der Sammleredition.

Falls es euch interessiert: Ich stecke gerade mitten im Umzugsstress, wollte aber die unerwartete Ruhe des heutigen Tages vorbildlich produktiv nutzen und einen neuen Beitrag für euch basteln. Da ich im Moment eine melancholische Phase habe, muss der wahnsinnig tolle und tatsächlich aus deutscher Feder stammende Manga Sternensammler meine Sehnsucht nach Romantik und glitzerndem Mädchenkram stillen. Ich finde, mit den Sternsensammler-Heften ist TOKYOPOP eine Veröffentlichung gelungen, die wirklich rund und stimmig und einfach nur wundervoll romantisch ist. Die Hefte sind vom Umfang auf den ersten Blick vielleicht etwas unhandlich, denn sie umfassen lediglich je ca. 40 Seiten und sind in einem größeren Format gehalten, das beim Lesen manchmal unpraktisch ist, aber wer sich damit gar nicht anfreunden kann, der hat immerhin noch die Möglichkeit auf die beiden Sammelbände auszuweichen, die mittlerweile ebenfalls bei TOKYOPOP vorliegen und nicht ganz so ‚prunkvoll‘ ausgestattet sind, dem Leser aber eher dieses klassische Manga-Gefühl vermitteln. Ich habe mich letztendlich gegen die zwei Sammelbände und für die 10 Einzelhefte der Erstauflage des Manga entschieden, was mal wieder meiner Schwäche für Glitzer geschuldet ist. In der Erstauflage liegt jedem Heft ein Sammel-Merchandise-Paket bei, was sich im Einzelnen je aus einer fantastischen kleinen Aquarell-Zeichnung, diversen Stickern mit Weltraummotiven und einer Folie zusammensetzt, mit der man sich nach und nach zwei Stifthalter basteln kann. Außerdem sind die Titelmotive der Hefte einfach so viel schöner (und aufgrund der Anzahl der Hefte eben auch zahlreicher)!

Ich glaube, Sternensammler ist der am liebevollsten gestalteten Manga, der mir bisher untergekommen ist. Jeder Titel zeigt die beiden Hauptfiguren, eingebetet in eine kleine Weltraum-Szenerie aus funkelnden Sternen und Astronomie-Symbolen. Normalerweise schenke ich durchschnittlichen Manga-Titelmotiven ungefähr 5 Sekunden Aufmerksamkeit, bevor ich mich dem Inhalt zuwende. Beim Betrachten der Sternensammler-Cover haben meine Augen jedoch sicherlich zwei Minuten lange genau so geglitzert wie die goldenen Highlights der Oberfläche. Zu der Gestaltung werde ich später noch etwas schreiben, aber ich darf bestimmt hier schon einmal festhalten: Mit seinen kräftigen Aquarell-Zeichnungen, den liebevollen Details und der sich überall widerspiegelnden Astronomie-Thematik hat sich die Reihe ihren Weg in mein Herz gefunkelt!

Ach ja – falls euch das alles nicht interessiert: Bitte ab hier weiterlesen *zwinker*.

Inhalt

Fynn (oder der Vollständigkeit halber: Fynn-Leonhard) ist das Musterbeispiel eines rebellierenden Teenagers, der gerade mitten in der Pubertät steckt: Er raucht, schwänzt ständig die Schule und wenn man ihn sucht, findet man ihn faulenzend im Bett oder auf seinem Lieblingshügel vor. Seine Freundin Zoe, die sich dieses apathische In-den-Tag-Hineinleben nicht mehr mit ansehen kann, trennt sich kurzerhand von Fynn und stürzt ihn mit der Bemerkung, er solle sich doch nach etwas „Anderem“ umsehen, in Verwirrung. Was ihm da gerade passiert ist, realisiert er erst am Abend, als er sich zum Nachdenken an seinen Lieblingsplatz zurückzieht, von dem aus man einen tollen Ausblick auf den Nachthimmel und die Sterne hat. Lange bleibt Fynn dort nicht alleine, denn plötzlich taucht ein ihm unbekannter Junge auf, der ohne großes Federlesen sein Teleskop aufbaut und Fynn lediglich kurz und bündig mitteilt, er wolle die Perseiden beobachten, einen Kometenschauer, der jedes Jahr im August am Nachthimmel zu sehen ist. Fynn, der eigentlich seine Ruhe haben möchte, passt das gar nicht und so versucht er den lästigen und „seltsamen Streber“ zu vertreiben. Das gestaltet sich jedoch schwierig, denn Niko erweist sich als ziemlich gewitzter und nicht auf den Mund gefallener Sternen-Nerd, der Fynn gehörig an der Nase herumführt. Als Fynn dann herausfindet, dass Niko auf seine Schule geht, ist sein Interesse an dem seltsamen Jungen geweckt und fortan leistet er Niko bei seinen nächtlichen Ausflügen in den Weltraum Gesellschaft.

Nach dem ersten und noch etwas ungeschickten Kuss realisiert Fynn, dass er sich in Niko verliebt hat. Für Fynn, der aufblüht und plötzlich auch in Bezug auf die Schule einen Elan an den Tag legt, der seine Familie und Zoe verwundert, ist damit eigentlich alles klar: Niko und er sind ein Pärchen! Doch je stärker Fynn sich Niko zu nähern versucht und je mehr er über seinen neuen Freund erfahren möchte, desto rigoroser zieht Niko sich hinter eine Wand aus Geheimnissen zurück, die zu durchbrechen Fynn erst nach einigen harten Auseinandersetzungen gelingt. Der auf den ersten Blick so offenherzige, freundliche, positive, freche und leidenschaftliche Niko trägt Familienverhältnisse mit sich herum, die Fynn zunächst ziemlich erschüttern, nachdem sein Freund sich ihm endlich öffnet. Es zeigt sich, dass Niko eigentlich ziemlich einsam ist und sehnsüchtig jemanden sucht, dem er vertrauen kann, der ihn liebt und der für ihn da ist. Seine Homosexualität und das unter Anderem daraus resultierende schlechte Verhältnis zu seinem Vater sind Faktoren, die ihm diese Suche bisher nicht gerade erleichtert haben.

Artwort / Gestaltung

Ich muss ehrlich sagen, dass ich mich über die Jahre, die ich mich jetzt schon durch diverse Manga lese, nie auch nur ansatzweise daran gestört habe, dass diese Art von Comics ausschließlich in schwarz-weiß gedruckt werden. Ich finde ehrlich gesagt sogar, dass man sich leichter auf Details und die Zeichnungen an sich konzentrieren kann, wenn man beim Lesen nicht von bunten Farben und anderen ‚unnötigen‘ Details abgelenkt wird. Sternensammler ist der erste Manga, bei dem ich es ein wenig bedauere, dass er eben ’nur‘ in schwarz-weiß gehalten ist. ‚Schuld‘ daran sind die wunderschönen Aquarell-Zeichnungen der Cover und der beiliegenden Postkarten-Drucke, in die ich mich vom Fleck weg verliebt habe. In der Regel sind, gerade in der japanischen Manga-Szene, eher die sogenannten Copic-Marker verbreitet, eine Art Filzstift, mit der farbige Zeichnungen meistens koloriert werden. Ich habe diese Stifte bisher nie selbst benutzt, habe aber eine Freundin, die eine Zeit lang mit ihnen gezeichnet hat, weshalb ich sagen kann, dass sie vom Prinzip ein wenig wie Aquarellfarben funktionieren, aber nicht diese extrem weichen und fließenden Farben erzeugen, die durch ihren teilweise unregelmäßigen Verlaufeffekt einen ganz speziellen und zauberhaften Charakter erhalten. Ich liebe es, dass die Farben so intensiv und leuchtend beziehungsweise sogar knallig sind und sich je nach Farbauswahl ganz unterschiedliche Stimmungen ergeben. Die Zeichnungen in blauen oder zarten Nuancen erhalten etwas Verträumtes, während die in intensiven oder warmen Farben kolorierten Bilder Temperament und Wärme versprühen. Ich finde, die Wahl der Zeichenmaterialien passt wunderbar zur Geschichte und der Thematik des Manga, denn die bunten Farbstrudel, die wir von Aufnahmen von Galaxien aus dem Weltraum kennen, lassen sich wohl nur mit Aquarellfarben so intensiv und authentisch wiedergeben. Ich war etwas enttäuscht, als die mitreißenden Hintergründe ab dem sechsten Band von graphischeren Bildelementen abgelöst wurden, wenngleich diese den Motiven mehr Ruhe und Klarheit verleihen. Mir hat jedoch gerade dieses intensive bunte Farbenspiel gefallen, auf dem Sterne und Planeten zu zerfließen scheinen und sich die kleinen Glitzerelemente wie Sterne in einen echten Nachthimmel einfügen. Ihr merkt sicher schon, ich und der Glitzer, dass sind zwei, die sich kennen und lieben *zwinker*. Ich glaube, in den Nachthimmel des Sternensammler-Universums habe ich mich genau so verliebt wie Niko in seine Sterne. Anna Backchausen hat also bereits mit den Covern wundervolle kleine Kunstwerke geschaffen.

Ich möchte an dieser Stelle einmal eine Lanze für unsere deutschen Mangaka und eben vor allem für die Zeichnerin von Sternensammler, Anna Backhausen, brechen, die sich mit ihren Zeichnungen wirklich hinter keiner japanischen Mangaka verstecken muss. Fynn und Niko sind visuell hervorragend umgesetzte Figuren, die bereits optisch ihren ganz eigenen Charme entwickeln. Sicherlich muss man eine gewisse Vorliebe für diesen verspielten und weichen Zeichenstil haben, aber wir kennen uns hier ja bereits lange genug, so dass sicher jeder regelmäßige Leser weiß, dass diese Art von Manga mitten in mein BL liebendes Herz trifft *zwinker*. Die weichen und fließenden Linien aus den farbigen Aquarellen setzten sich auch innerhalb des Manga in den schwarz-weißen Zeichnungen fort. Die Linien sind fein und scheinen mehr zu fließen als tatsächlich feste Struktur anzunehmen, wenngleich natürlich die Umrisse klar definiert, dabei jedoch sehr filigran sind. Oft wirkt die Strichführung unterbrochen und Linien werden nicht durchgezogen, sondern fügen sich als kleine Ansammlungen von einzelnen Strichen zu Konturen zusammen. Die Zeichnungen wirken lose hingeworfen, ja manchmal fast hingekritzelt und ein gewisser Skizzencharakter scheint öfter durch, was jedoch den besondern Reiz des Artwork ausmacht. Besonders in den Porträtzeichnungen zeigt sich, dass die Mangaka vermehrt mit feinen Schraffuren und weniger mit festen Strichen arbeitet, weshalb die Figuren immer etwas leicht Weltentrücktes an sich haben und ihre Umrisse vage und zerstückelt wirken, besonders natürlich der verträumte Niko mit seinen blonden und strubbeligen Haaren. Insgesamt erwecken die Zeichnungen einen sehr modernen Eindruck, was im Wesentlichen an der farblichen Ausgestaltung liegt, die mir in letzter Zeit häufig bei neueren Werken aufgefallen ist, zum Beispiel im Manga GivenDiese jüngeren Manga zeichnen sich dadurch aus, dass sie weniger auf viele unterschiedliche Grauschattierungen setzten, sondern die Zeichnungen relativ pur belassen und Struktur dadurch erreichen, dass die einzelnen Bilder mit einem hellen Grauton sehr realistisch eingefärbt werden und hierdurch die Illusion eines realistischen Spiels von Licht und Schatten erzeugt wird. Durch diesen Einsatz können alleine aufgrund der Lichtverhältnisse in den Bildern ganz verschiedene Stimmungen erzeugt werden. Die ‚lichtdurchfluteten‘ Zeichnungen wirken hell, freundlich und verträumt und erzeugen eine positive Grundstimmung, während in den dunkler kolorierten Bildern eher negative Gefühle oder Schreckensmomente im Vordergrund stehen. Dadurch, dass an vielen Stellen der Zeichencharakter der Bilder erhalten bleibt und nicht in einer übermäßigen Flut von Grautönen ertrinkt, können die Augen des Lesers ganz in Ruhe auf den Zeichnungen verweilen und machen das Betrachten dieser zu einem wirklichen Genuss.

Neben der sehr gut und harmonisch umgesetzten Kolorierung gefällt mir in Sternensammler vor allem die Art und Weise, auf welche die Rasterfolie eingesetzt wird. Neben den BL-typischen Glitzerwolken, funkelnden Hintergrundsternen und wabernden rosa Nebelschwaden (in Wirklichkeit natürlich schwarz-weiß, aber zumindest in meinem Kopf sind sie immer rosa) bekommen wir sehr interessante Techniken zu  sehen, zum Beispiel in Form der feinen weißen Linien von Sternenkonstellationen, die ihre Bahnen durch den nachtschwarzen Himmel ziehen. Besonders viel Liebe hat die Autorin in die Kleidung von Fynn und Niko investiert. An kleinen Details kann man hier erkennen, wie viel Mühe in diesem Manga steckt. Es ist sehr aufwändig, solche kleinen Karomuster zu zeichnen und zu drucken, wie man sie auf Fynns Schuhen oder Nikos Sweatjacken und Hemden findet. Selbst die Stoffstruktur wurde sehr realistisch aufgegriffen und wiedergegeben. Mir gefällt außerdem der authentische Kleidungsstil sämtlicher Figuren. Da die Geschichte sich um Fynn und Niko dreht, die beide etwa 18 Jahre alt sein müssen (Niko fährt bereits Auto) und kurz vor dem Abitur stehen, tragen die beiden dementsprechend sehr jugendliche Kleidung, in der ich mich jedoch, obwohl mein Abi bereits einige Jahre her ist (acht, um genau zu sein), noch gut wiederfinden kann. Niko entspricht optisch vielleicht einigen klassischen Nerd-Klischees, aber ich bin mir sicher, die älteren Leser unter euch werden sich sicherlich in Fynns und Nikos (sowie Zoes) Stil wiedererkennen. Ich kann eigentlich nur sagen, dass die beiden visuell genau dem entsprechen, was man auf der Straße an potentiellen (männlichen) Abiturienten antrifft. Neben der verträumten Geschichte und dem romantischen und zauberhaften Setting sind es besonders diese an die Realität angelehnten Elemente, die mich an Sternensammler so gefesselt und begeistert haben. Neben den großformatigen Zeichnungen, die stehts die Figuren und ihre Gefühle ins Zentrum rücken, stecken auch die Hintergründe voller Anklänge an ein typisches deutsches Kleinstadtleben und liebevoller Details. Wer genau hinschaut, entdeckt auf Fynns Fensterbank in seinem Zimmer zum Beispiel einen Zettel seiner Mutter, der den Müll auf besagter Fensterbank mit den Worten „Bald lebt es“ kommentiert. Das ist so herzerfrischend aus dem Leben gegriffen und hat mich an meine eigene Mutter, dass ich an dieser Stelle lange schmunzeln musste. Was ich wirklich liebe, ist, dass der Manga zwar durch und durch ein richtiger BL-Manga ist, aber nicht krampfhaft versucht, sich in einem japanischen Umfeld zu verorten. Sternensammler erzählt eine Geschichte, die in diesem Setting ohne Probleme in jeder Stadt in Deutschland möglich wäre und stützt sein Fundament dabei auf deutsche Gegebenheiten, wie beispielsweise das deutsche Schulsystem und deutsche Architektur, so dass vielleicht dieser kleine Nervenkitzel und die kulturellen Besonderheiten entfallen, denen man beim Lesen japanischer Manga begegnet, der Leser sich jedoch stark mit den Figuren und der Umgebung identifizieren kann und man sich bei der Lektüre von der ersten Seite an richtig heimisch fühlt.

Erotische Szenen

Obwohl man, wenn man die Figuren und das Setting von Sternensammler betrachtet, davon ausgehen kann, dass sich der Manga an ein jugendliches Publikum richtet, enthält er durchaus ein paar eindeutige und recht explizite Szenen. Mir gefällt jedoch auch hier die Bodenständigkeit und Authentizität der Darstellungen, wenngleich hierunter die Erotik etwas leidet, insofern man das so formulieren möchte. Fynn und Niko sind keine erwachsenen Figuren, sondern zwei ganz normale Teenager, die ihre ersten sexuellen Erfahrungen sammeln und die erste große Liebe erfahren. Wer von euch ausschließlich BL-Manga mit gut gebauten männlichen Charakteren zwischen 20 und 30 Jahren liest, der ist mit Sternensammler nicht gut beraten. Wenn Niko und Fynn miteinander intim werden, schafft es der Manga durchaus, die Erregung der beiden jungen Männer darzustellen und auszudrücken und die Szenen sind wirklich romantisch und niedlich, aber ich kann nicht behaupten, dass mir beim Lesen vor lauter nackter Haut und lustvollem Gestöhne der Schweiß auf die Stirn getreten ist. Sternensammler behandelt das Thema homoerotische Sexualität auf eine sehr natürliche und unaufgeregte Art, die mir persönlich zwar sehr gefallen hat – aber wie gesagt, wer großen Wert auf Kamasutra-Lehrstunde, wilde und hemmungslose Leidenschaft und gut gebaute Seme legt, der dürfte enttäuscht werden. Der Manga ist in Bezug auf diesen Umstand eher als Gegensatz zu Werken wie It’s the Journey not the Destination oder Touch my Jackass zu betrachten, obwohl alle drei Werke Geschichten erzählen, die im Themenbereich Schul- und Universitätsleben angesiedelt sind. Die drei Reihen sind Manga mit ernstem Hintergrund und durchaus höherem Anspruch, aber während die Figuren in japanischen Manga stark erotisiert werden, verzichtet der deutsche Manga Sternensammler auf diese Form der Idealisierung und bleibt sympathisch bodenständig. Es gibt zum Beispiel keine forcierten Oben-ohne-Szenen, sondern Fynn und Niko ziehen beim Sex eben nur die aller notwendigsten Kleidungsstücke aus, was im Klartext heißt – Jeans und Unterhose.

Damit ihr nicht mit zu hohen Erwartungen an diese Serie herangeht, möchte ich an dieser Stelle einmal darauf hinweisen, dass es zwar eine handvoll Szenen gibt, in denen Niko und Fynn sich Küssen oder auf andere Art intim werden, der tatsächliche Sex sich aber auf eine einzige Szene beschränkt, welche jedoch recht explizit und leidenschaftlich gehalten wurde, wenngleich sie insgesamt weniger erotisch und mehr niedlich ist. Ich finde es allerdings in diesem Kontext sehr erfrischen, dass das Thema Homosexualität so unverkrampft zwischen Fynn und Niko behandelt wird, wenngleich der Manga in Bezug auf die gesellschaftliche Akzeptanz der Beziehung zwischen den beiden Figuren ein sehr weites Spannungsfeld eröffnet und gegensätzliche Positionen in Form einzelner Nebencharaktere thematisiert. Während Fynns Mutter auf das Coming-Out ihres Sohnes völlig entspannt und offen eingeht, erfährt Niko starke Ablehnung durch seinen Vater, zu dem er ein sehr schlechter Verhältnis hat. Dass es in Sternensammler jedoch überhaupt endlich mal ein Coming-Out in einem BL-Manga gibt, muss man an dieser Stelle lobend hervorheben. Natürlich ist es zum Teil der japanischen Kultur geschuldet, dass die Figuren ihre Beziehung in japanischen BL-Manga eher unter sich ausmachen und sogar ihr persönliches oder familiäres Umfeld  in der Regel nichts von der Homosexualität oder Liebesbeziehung der Charaktere weiß. Das liegt daran, dass die Japaner sehr viel Wert auf Diskretion legen und darauf, ihre Mitmenschen nicht zu belästigen. Dies schließt ein, dass der Austausch von intimen Zärtlichkeiten, wie zum Beispiel Küssen, in der Öffentlichkeit in Japan (oder generell in Asien) nicht so gerne gesehen wird. Wobei man hier betonen muss, dass das nichts damit zu tun hat, dass die Japaner ‚verklemmt‘ oder intolerant sind. Sie wollen einfach anderen Menschen nicht zu nahe treten oder ihnen unbehagliche Gefühle bereiten, weshalb dieses Verhalten auf reiner Rücksichtnahme basiert. Ich glaube, es gab vor vielen, vielen, vielen Jahren zum Beispiel einmal einen kleinen Skandal, weil Udo Jürgens bei einem Auftritt in Japan (oder China) die Moderatorin auf die Wange geküsst hat. Aber das nur am Rande. Sternensammler ist ein deutscher Manga und dementsprechend unverkrampfter geht er mit dem Thema Homosexualität um. Die beiden Autorinnen schaffen es sogar, den Gesprächen von Fynn und Niko eine humorvolle Note zu verleihen. So gibt Fynn Niko gegenüber ganz unumwunden zu, dass es ihm ein wenig davor graust, seinen Penis in den Allerwertesten seines Freundes zu stecken. Selbst diese kleinen Verfänglichkeiten klingen im Manga ganz natürlich und man hat beim Lesen keinerlei Schamgefühl, was ich wirklich toll finde. Ich musste oft lachen und habe mich schon lange nach einem BL-Werk gesehnt, in dem die Figuren offen und relativ unverkrampft mit ihrer Sexualität umgehen und man nicht – wie in vielen japanischen Manga – immer diese verspannte Atmosphäre über der ganzen Handlung schweben hat.

Fynn und Niko sind zwei sexuell noch eher unerfahrene junge Männer, und vor allem Fynn ist wirklich süß, wenn er Niko darum bittet, es langsam angehen zu lassen, weil er mit Männern noch keine Erfahrungen sammeln konnte. Hier merkt man ganz deutlich, dass der Manga jugendliche Themen wie die erste Liebe und das Erste Mal aufgreift, doch auch als älterer Leser hat man Freude daran, gemeinsam mit Fynn und Niko noch einmal die Liebe zu entdecken. Ich will in diesem Beitrag einmal Abstand davon nehmen, mich auf die Seme-Uke-Diskussion zu versteifen. Niko und Fynn entsprechen in Bezug auf ihr Aussehen und ihren Charakter zwar teilweise diesem Schema, aber man kann die beiden Figuren wirklich nicht stumpf in diese Rollen pressen. Niko übernimmt im Bett die Führung, aber aus dem Grund, weil es Fynn an sexueller Erfahrung mit Männern fehlt und Niko seinen Freund wahrscheinlich nicht verängstigen möchte. Im Gegensatz zum beziehungserfahrenen Niko ist es erstaunlicher Weise Fynn, der Niko aktiv erobert und sich auch nicht von dessen Geheimniskrämerei und Verschlossenheit abschrecken lässt, wenngleich es zum einen oder anderen ausgewachsenen Streit zwischen den beiden Figuren kommt. Auch hier hat mit die Realitätsnähe des Manga gefallen. Er zeigt nicht nur die rosarote und harmonische Seite einer Beziehung, sondern auch, dass Reibereien und Streit dazu gehören und man hart an der Beziehung und der Liebe arbeiten muss, wenn sie von Dauer sein soll. Besonders Niko muss im Manga erst langsam lernen, dass ein großes Maß an Vertrauen und Kommunikation erforderlich sind und die Grundvoraussetzung für eine funktionierende Beziehung bilden. Es sind junge Themen, die Sternensammler hier in den Mittelpunkt stellt, Aspekte wie die erste große Liebe, Sexualität, Freundschaft, Beziehungen und das Erwachsenwerden mit allen Höhen und Tiefen an sich, aber auch Verlust, Angst und Tod. Den beiden Autorinnen gelingt eine jugendlich-frische Umsetzung mit originellen Ideen, einem romantischen Setting und sympathischen und authentischen Figuren, mit deren Problemen man sich gerade als jüngerer Leser sehr gut identifizieren kann. Das Thema Homosexualität in einer jungen Beziehung wird mit allen Problematiken angesprochen und aufgezeigt, aber nicht übermäßig und unnötig aufgebauscht. Niko bittet zwar Fynn darum, ihre Beziehung in der Schule geheim zu halten, geht aber gegenüber einzelnen Außenstehenden, wie seinem Opa oder seinem Vater, offen mit dem Thema um. Ich denke, letztendlich hat Niko vor sich selbst kein Problem mit seiner Sexualität, sondern vielmehr Angst vor der Ablehnung und damit einhergehenden Einsamkeit, die ein Outing bedeuten würde. Denn mehr alles alles Andere fürchtet Niko Verlust und emotionalen Schmerz.

Figuren / Handlung

Das DIN-A5-Format der Einzelbände ist beim Lesen vielleicht manchmal etwas unpraktisch, aber die größeren Seiten spielen den schönen Zeichnungen und Porträts in die Hände, die sich auf den überformatigen Seiten in übersichtlichen und gut strukturierten Panelen entfalten können. Es macht so viel Spaß, anzusehen, wie gesund die Beziehung zwischen Fynn und Niko ist. Ok, „gesund“ hört sich jetzt mega seltsam an, aber wer wie ich viele BL-Manga liest, der weiß, was einem da an – ich muss es jetzt mal so deutlich sagen, tut mir leid – ‚kranker Scheiße‘ begegnen kann. Die Mangaka legt in ihren Bildern viel Wert auf kleine und zärtliche Gesten und große Emotionen und macht damit klar, dass eine homosexuelle Beziehung völlig unaufgeregt und genau so normal funktioniert wie bei einem heterosexuellen Pärchen. Wenn Niko und Fynn miteinander kuscheln, sich umarmen oder küssen, dann hat das mein Herz richtig erwärmt und war wirklich schön anzusehen. Überhaupt gefällt mir, dass die Figuren auch in Hinblick auf ihren Charakter so authentisch wirken und mit Problemen und Ängsten kämpfen, die wohl jeden von uns ebenso beschäftigen. Ich denke, besonders in Fynn kann sich jeder Leser wiederfinden, egal ob er diese Lebensphase, in der Fynn sich befindet, gerade selbst durchmacht oder sie bereits hinter ihm liegt.

Fynn ist das, was mich früher immer auf die Palme gebracht hat, wenn meine Mutter mich so nannte – ein „kleines Pubertätsmonster“. So richtig weiß Fynn mit seinem Leben nichts anzufangen. Er hat an nichts wirkliches Interesse und verbringt seine Tage mit Faulenzen und Schwänzen. Er steckt mitten in der Phase seines Lebens, in der man sich neu sortieren und ordnen muss, weil sich so vieles verändert und man manchmal den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr sieht. Das braucht seine Zeit und einen Weg aus diesem Dschungel scheint Fynn noch nicht gefunden zu haben. Während er seine Mutter gerne auf die Palme bringt, macht seine Ex-Freundin Zoe sich Sorgen um Fynn und sein nervenaufreibend passives In-den-Tag-hineinleben. Mit seiner schnoddrigen Art und seiner Scheiß-egal-Haltung regt man sich zu Beginn des Manga selbst etwas über Fynn auf. Das alles ändert sich jedoch, als er Niko kennen lernt. Niko scheint auf den ersten Blick das vollkommene Gegenteil von Fynn zu sein. Er ist gut in der Schule, pflichtbewusst, hat viele Freunde und ein Hobby, das sein ganzes Lebensinhalt zu sein scheint: Astronomie! Mit seiner frechen und kecken und gleichzeitig etwas schüchternen Art hat er Fynns Herz schnell im Sturm erobert und dieser blüht, wo er das erste Mal in seinem Leben WIRKLICH verliebt ist, förmlich auf. Durch Niko öffnet Fynn sich seiner Mutter und seinem kleinen Bruder gegenüber und geht wieder regelmäßig zur Schule. Es zeigt sich, dass Fynn eigentlich ein sehr lebensfroher und gutherziger Kerl ist, der seinen Charakter gut einschätzen kann und sehr offen und direkt mit Problemen und Dingen umgeht, die ihn stören. So kommt es auch, dass die Scheidung seiner Eltern vielleicht einen Teil dazu beigetragen hat, dass Fynn diese schwierige Phase durchgemacht hat, er der Sache an sich aber keine all zu große Bedeutung beimisst und entspannt mit seiner Familiensituation umgeht. Seine Mutter und Zoe sind übrigens zwei wahnsinnig sympathische Nebenfiguren und zwei richtige Goldschätze, die immer ein offenes Ohr für Fynns Sorgen und Nöte haben. Der freche Niko, der seinen Platz im Leben bereits gut zu kennen scheint, entpuppt sich mit der größer werdenden Nähe zwischen ihm und Fynn hingegen als eigentlich sehr verschlossener, unsicherer und vor allem einsamer junger Mann, der aufgrund von familiären Problemen bei seinen Großeltern aufgewachsen ist und nun alleine lebt, nachdem seine Großeltern sich nicht mehr um ihn kümmern können. Niko Biographie ist sehr traurig und hat mir wirklich einige dicke Krokodilstränen abgerungen, aber ich will an dieser Stelle nicht zu viel von der Handlung verraten. Der erste Blick, den der Leser auf Fynn und Niko erhält, trügt also, und im Laufe der Geschichte scheint ihr jeweiliger Charakter sich genau gegensätzlich zu den Eigenschaften zu entwickeln, die man bei den beiden Figuren zunächst zugeschrieben hat. Diese Umkehr fand ich sehr spannend und ich habe mich beim Lesen wirklich gerne mit den beiden Figuren beschäftigt.

Der Manga zeigt, wie die familiäre Situation gerade bei Kindern und jungen Erwachsenen auf deren Persönlichkeitsentwicklung und Psyche einwirken kann und wie wichtig es ist, dass sie im Leben jemanden haben, der ihnen Halt gibt. Die Sterne, die Niko bisher diese Stützte ersetzten, haben zweierlei Bedeutung für ihn: Einerseits symbolisieren sie die emotionale Verbindung zu seinem Großvater, andererseits gehören sie einer geheimnisvollen Welt an, die Niko jedoch kennt und in der er sich zurechtfindet und orientieren kann, ganz im Gegensatz zur realen Welt, die Niko fürchtet und in der er sich einsam fühlt. Die harten Erfahrungen, die Nikos Leben bisher für ihn bereit hielt, haben ihn unabhängig und etwas verbittert gemacht und lassen ihn im Gegensatz zu Fynn erwachsener und selbstständiger wirken, als er eigentlich ist. Wie die Sterne, die im gesamten Manga gegenwärtig sind, ist es jedoch auch Nikos Einsamkeit. Fynn ist wie die Sternschnuppe, die Niko noch nie gesehen hat – ein strahlendes kleines Licht, das in seine dunkle und stumme Welt tritt und sie mit Liebe und Wärme füllt (freilich erst, nachdem sie einige kleine Kometeneinschläge auf Nikos Nervenkostüm hinterlassen hat *zwinker*). Der Manga hat bei mir ebenfalls ein kleines und warmes Licht in meinem Herzen entzündet und ich bin den Autorinnen und TOKYOPOP dankbar, dass sie uns diese unauffällige, aber wundervoll anrührende Geschichte um die erste Liebe zweier Teenager geschenkt haben. Und wenn ihr bisher Vorurteile gegenüber deutschen Manga hattet, bitte, werft sie über Bord und lasst euch von Sternensammler beweisen, dass es auch bei uns tolle Mangaka und Autorinnen gibt, die gute Manga schreiben und zeichnen!

Fazit

Sternensammler ist ein deutsches Werk, das inhaltlich vielleicht unaufgeregter und unauffälliger als seine japanischen Gegenstücke daherkommt, aber nicht weniger lesenswert ist. Die Zeichnungen und die Geschichte brauchen sich hinter keinem japanischen Manga verstecken und die Einzelhefte begeistern den Leser nicht nur mit wundervollen und farbenprächtigen Aquarellzeichnungen auf den Covern, sondern auch mit kleinen Sammel-Postkarten und Stickern in der Erstauflage, die für Liebhaber von romantischen, bittersüßen und sehr realistischen Geschichten ein ganz besonderes Schmackerl sein dürften. Der Manga beschäftigt sich auf sehr einfühlsame Weise mit jugendlichen Themenfeldern, wie der ersten Liebe, (Homo)Sexualität, Freundschaft, Verlust und Tod. Dabei stützen sich die Autorinnen auf ein Setting, dass ebenfalls in Deutschland angesiedelt ist und ermöglichen dem Leser damit eine einfache Identifikation mit den psychologisch gut ausgearbeiteten und sehr sympathischen und authentischen Figuren. Der Manga richtet sich vornehmlich an ein älteres jugendliches Publikum zwischen 14 und 18 Jahre und überzeugt weniger mit Erotik, sondern vielmehr mit der Darstellung von realen Beziehungsproblematiken und Konflikten, die man als junger Mensch zum ersten Mal durchlebt. Vor allem der ungezwungene Umgang mit Sexualität und die völlig klischeefreie Abbildung der Beziehung zwischen Fynn und Niko sind es, die dem Manga einen Platz in jedem BL-Manga-Regal sichern sollten. Ihr dürft hier also beruhigt zugreifen, wenn ihr nach einer romantischen Geschichte mit originellen Ideen und einer Handlung sucht, die eine gute Balance zwischen humorvollen, traurigen und fröhlichen Tönen findet, dabei aber nie ihren Realitätsbezug verliert. Wer lieber klassiche BL-Manga mit erwachsenen Figuren, knisternder Erotik, viel Sex und dem ein oder anderen BL-Klischee liest, der wird sich bei der Lektüre von Sternensammler wahrscheinlich langweilen. Es sind hier eher die leisen und zarten Zwischentöne, die mich beim Lesen so berührt haben und abschließend kann ich eigentlich nur sagen, dass ich beim Lesen sowohl die Zeichnungen als auch die Story sehr genossen habe und sich Sternensammler definitiv einen festen Platz in meinem Herzen erobern konnte – denn, so viel muss ich am Ende doch noch eingestehen – ich bin selbst eine kleiner Romantikerin, die des Nachts gerne ihren Blick gen der funkelnden Sterne am Nachthimmel wendet.

Jaa mata ne, eure Amaya!


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