Titel: It’s the Journey not the Destination / Escape Journey

Genre: Boys‘ Love, Drama, Romance, College Life, Slice of Life

Zeichnungen / Story: Ogeretsu Tanaka

Bände: 3 / abgeschlossen

Verlag: Egmont Manga

Erscheinungsjahr des 1. Bands: 2017

Erotische Szenen: ❤❤❤

Alle Werke der wundervollen Ogeretsu Tanaka findet ihr bei Egmont Manga.

Guten Abend, da bin ich wieder, mit einem neuen Beitrag für euch *wink*. Ich muss gestehen, dass mir im Moment die Auswahl etwas schwer fällt. Es gibt noch so viele tolle BL-Manga in meinem Schrank und heute stand ich wieder grübelnd vor meinem Regal und wusste nicht, welche Reihe ich für eine neue Rezension wählen sollte. Mein Problem ist immer der Zeitfaktor: Fast alle Reihen bestehen aus mehr als zwei oder drei Bänden und dementsprechend lange dauert es, bis ich mich erneut eingelesen habe. Vielleicht denkt ihr, dass ich eine neue Rezension schnell aus meinem Gehirn herausschütteln kann, aber das stimmt (leider) nicht. Die meisten Manga, die ich rezensieren will, habe ich bereits vor einigen Wochen oder Monaten gelesen und dementsprechend schwer fällt es mir, mich beim Schreiben detailliert an den Inhalt zu erinnern. Dies ist jedoch unabdinglich, wenn ich einen Beitrag schreiben will. Ich komme also nicht drum herum und muss den Manga / die Reihe erneut lesen. Natürlich klingt das jetzt viel negativer, als es eigentlich ist. Ich tue nichts mit mehr Freude, als meine Lieblingsmanga ein zweites oder drittes Mal zu lesen. Als arbeitender Mensch hat man jedoch neben dem Job noch soziale Verpflichtungen und – ja, das trifft tatsächlich auch auf ein Otaku wie mich zu – Freunde und Familie (und einen Hund und ein Pferd), die zu ihrem Recht kommen wollen *zwinker*. Dementsprechend reicht meine Zeit häufig nicht, um an einem Wochenende eine ganze Reihe zu lesen und dann auch noch einen Blogpost dazu zu schreiben. Man bedenke nur, dass zum Beispiel Junjo Romantica bisher 18 Bände hat… Der Albtraum eines jeden Hobby-Rezensenten *schwitz*. Wer mich kennt, der will sich außerdem auch nicht ausmalen, welch epische Länge mein Beitrag zu einer 18-bändigen Reihe erreichen würde… Ich wünsche mir zwar, dass ich damit mein Geld verdienen und den ganzen Tag Manga lesen und über diese schreiben könnte, aber das wird wohl Wunschdenken bleiben *grins*. Daher versuche ich, mich aktuell auf One Shots oder Reihen mit zwei bis drei Bänden zu beschränken. Für die Osterfeiertage habe ich aber zumindest eine Rezension zu Ten Count eingeplant, worauf sicher viele von euch sehnsüchtig warten. Gut, aber ich habe mal wieder genug geschwafelt, los geht es mit der zauberhaften Geschichte It’s the Journey not the Destination um die beiden Studenten Naoto und Taichi!

Inhalt

Naoto und Taichi waren auf der Highschool für kurze Zeit ein Paar. Schnell mussten die beiden Jungen jedoch feststellen, dass es nicht einfach ist eine harmonische Beziehung zu führen, wenn die beiden Partner nicht nur charakterlich so grundverschieden sind wie Taichi und Naoto, sondern auch noch völlig unterschiedlich mit ihrer Homosexualität umgehen. Dementsprechend schnell zerbrach die junge Liebe. Auf der Universität kommt es nun zu einem unerwarteten Wiedersehen zwischen den beiden jungen Männern, als Naoto feststellen muss, dass Taichi sich an der selben Fakultät eingeschrieben hat wie er. Nach Kurzem wird klar, dass die beiden immer noch Gefühle füreinander haben und es beginnt erneut zwischen ihnen zu knistern. Wo der Plot vieler BL-Manga bereits aufhört, nämlich an der Stelle, an der die beiden Protagonisten zusammenkommen, setzt Ogeretsu Tanaka an und schildert auf sehr sensible Art und Weise, wie sich die Beziehung zwischen Naoto und Taichi von diesem Punkt an entwickelt und an Tiefe und Ernsthaftigkeit gewinnt. Denn neben ihren unterschiedlichen Persönlichkeiten müssen die beiden sich mehr und mehr auch mit der eigenen Sexualität und der tendenziell negativen Perspektive der Gesellschaft auf homosexuelle Beziehungen auseinandersetzen, wenn ihre Liebe diesmal von Dauer sein soll. Schließlich taucht auch noch Naotos schwuler Kommilitone Nishina auf der Bildfläche auf, der zwar nicht auf Naoto zu stehen scheint, aus zunächst unerfindlichen Gründen jedoch alles daran setzt, Taichi und Naoto ihre Liebe madig zu reden. Nishina glaubt nicht daran, dass eine Beziehung zwischen Männern dauerhaften Bestand haben kann und schaffte es schließlich, vor allem in Taichi Zweifel zu sähen, ob die Bürde, die er Naoto mit seiner Liebe auferlegt, für diesen am Ende nicht doch zu viel Verzicht bedeuten würde, nämlich den Verzicht auf all die Dinge, die den Freund und sein sonniges Wesen ausmachen: seine Familie und sein Freundeskreis. Könnte Naoto es verkraften, wenn diese sich von ihm abwenden täten, käme seine Beziehung zu Taichi ans Licht?

Artwork / Gestaltung

Das Artwork der Mangaka ist in vielerlei Hinsicht atemberaubend und auf jeder einzelnen Seite des Manga ist richtig was los, wenn man das mal so sagen will. Die einzelnen Panele sind vollgepackt mit detaillierten Hintergründen, Textblasen und sehr viel Lautmalerei. Manchmal wirkt das etwas überladen und erschöpft beim Lesen ein wenig, aber irgendwie passt es zu diesem Manga, der vor allem aufgrund von Naoto einen phasenweise sehr heiteren und sonnigen Grundton hat. Wie in fast allen Manga kommt jedoch Ruhe in die Szenerie, wenn sich die Mangaka auf einzelnen Seiten auf ausdrucksstarke Porträtzeichnungen der Figuren beschränkt. Naoto und Taichi sind wundervoll und vor allem sehr unterschiedlich und individuell gestaltet. Beide haben ein optisches Merkmal, welches sie jeweils unverkennbar macht: Naoto hat wirklich niedliche spitze Eckzähne, die ihn unwiderstehlich machen, wenn er lächelt oder lacht, und Taichi eine kleine Einbuchtung unterhalb der Nasenwurzel. Es sind unter anderem diese kleinen Merkmale, die Ogeretsu Tanaks Figuren so liebenswert und authentisch wirken lassen. Überhaupt sind die Charaktere an sich sehr realistisch und mit vielen bemerkenswerten Details gezeichnet. Sogar die Körperbehaarung ist sehr… wirklichkeitsgetreu. Nun ja, wir verstehen uns ohne weitere Worte, hoffe ich *hust*. Der moderne und lässige Kleidungsstil, Naotos Brille und seine Ohrringe / Piercings und die Vorliebe Taichis für manchmal etwas seltsam gemusterte Hemden – das alles sieht so typisch nach Studentenleben aus, dass es dem Leser leicht fällt, sich mit der Umgebung und den beiden Figuren zu identifizieren. Naotos Katzenaugen erinnern durch ihren markanten Lidstrich sogar ein wenig an die Charaktere von Scarlet Beriko. Ich persönlich glaube, dass der Zauber von Ogeretsu Tanakas Werk vor allem darin liegt, dass ihre Figuren nicht wie klassische Manga-Figuren wirken, sondern ganz im Gegenteil sehr realistisch gezeichnet sind, dabei aber eine gewisse Weltentrücktheit beziehungsweise idealisierte Form behalten.

Außerdem – ich weiß, das klingt jetzt seltsam – bin ich wahrhaftig verliebt in die Haare der Protagonisten, besonders in die von Naoto. Sie sind so blond und fluffig und liegen nicht immer perfekt, sondern entsprechend der Situation, der sie ausgesetzt sind. Endlich mal hübsche Männer, die auch Bad-Hair-Days kennen *zwinker*! Ganz wundervoll finde ich zudem den sonnigen und humorvollen und in Teilen auch mal etwas deftig-derben beziehungsweise erotischen Grundton, den die Mangaka vor allem Naoto anschlagen lässt, der durch seine lebensfrohe Art einen sehr einnehmenden Charakter und viel Sinn für Humor hat und dies vor allem Taichi öfter spüren lässt. Neben den überwiegend normalen oder ernsten Zeichnungen finden sich deshalb auch immer mal wieder karikierte Szenen, die zumindest bei mir in dem ganzen Drama für auflockernde und ehrliche Erheiterung oder kleine Lachflashs gesorgt haben. Da ich euch den Spaß nicht verderben möchte, werde ich auch keinen von Naotos kleinen Witzchen vorstellen… Obwohl es mich wirklich in den Fingern juckt. Aber nein, ich bleibe standhaft *zwinker*! Auf jeden Fall ist es durchaus eine eindrucksvolle künstlerische Leistung, wenn es der Mangaka gelingt, sogar realistische Grimassen zu zeichnen.

Insgesamt finde ich auch positiv, dass die einzelnen Figuren nicht wie der klassisch Bishōnen-Prototyp wirken, das heißt zum Beispiel extrem gut aussehen und gebaut sind und womöglich auch noch überdurchschnittlich intelligent, sondern alle mit ihren Ecken und Kanten kämpfen, wenngleich Naoto und Taichi für ihren Lebenswandel trotzdem einen ziemlich attraktiven Körperbau haben *hrhrhr*. Während Naoto beispielsweise ein ziemlich chaotischer Typ ist, neigt Taichi zu Schüchternheit und wirkt beinahe etwas antisozial. Auf diesen Umstand werde ich – wie immer- näher im Abschnitt „Figuren“ eingehen. Die Auswahl und den Satz der Panele finde ich an einigen Stellen wirklich außergewöhnlich gelungen. In einigen Situationen, in denen sich Naoto und Taichi in der Öffentlichkeit bewegen und die Bildausschnitte mit ihren Menschenmengen und Hintergründen teilweise etwas überladen wirken, reißen plötzlich kleine Panele den Leser aus dem Getümmel und lassen ihn gemeinsam mit den Figuren in ruhige Momente und intime Szenen innerhalb des alltäglichen Treibens eintauchen. Manchmal kommt dies so überraschend, dass dem Leser der Atem stockt. Es gibt einen Moment, in dem Naoto und Taichi gemeinsam mit zwei Kommilitoninnen ein Aquarium besuchen und Taichi mitten im Gewimmel heimlich Naotos Hand greift. Die Panele davor und danach bilden ausschließlich die Gesichter der beiden Protagonisten ab und spiegeln die Emotionen von Naoto und Taichi ausdrucksstark wieder. Diese Szene habe ich sehr intensiv empfunden und lange Zeit auf die Zeichnung der beiden ineinander verschränkten Hände geschaut. Überhaupt sind die Zärtlichkeiten und kleinen Gesten, die die beiden Protagonisten außerhalb des Bettes austauschen, visuell unheimlich anrührend und romantisch in Szene gesetzt. Wenn wir als Beispiel bei der Szenerie im Aquarium bleiben: Viel romantischer kann ein  Setting eigentlich nicht sein, oder? Naoto, der ausgelassen die bunten Fische betrachtet und der schließlich fasziniert neben Taichi vor einer riesigen Glasscheibe steht und mit den Augen den bunt schillernden Fischen dahinter folgt, während das gesamte Bild in blau schimmerndes Licht und tanzende Wasserreflexionen getaucht ist, dazu Taichi, der verdeckt nach Naotos Hand greift und diese fest hält – ich denke, da ist in punkto Romantik nicht mehr viel Luft nach oben. Trotzdem schafft es die Mangak, diese ergreifenden Momente vor der rosarot glitzernden Kitschwolke zu retten, die in anderen Manga in diesen Situationen gerne ins Bild zieht und alles in Zuckerwatte zu ertränken droht. Vielleicht liegt auch hier das Geheimnis in dem realistischen Artwork. Jede Szene ist sorgsam komponiert und durchdacht und trotzdem geschehen nie Dinge, die in dieser Art nicht auch in der Realität zwischen einem normalen Pärchen möglich wären.

Hinzu kommt, dass die Mangaka den Leser gekonnt in verschiedene Perspektiven setzt. So wird in einer Szene mit Taichi zum Beispiel nur Naotos Rücken gezeigt, vor dem Taichi zunächst ziemlich ratlos steht. Wie dieser muss der Leser hier zunächst versuchen, sich Naotos Gefühle blind zu erschließen, bevor sich die Situation auflöst. Das Selbe gilt in ähnlichen Szenen für Naoto. Ich finde, hier wird sehr schön die Kommunikationshürde dargestellt, die die beiden Figuren überwinden müssen, um die Gefühle des Gegenüber wirklich verstehen zu können. Überhaupt schafft es die Mangaka auf eindrucksvolle Weise, die Emotionen der Figuren in Mimik und Gestik auszudrücken. Hierin liegt eine weitere enorme Leistung, die der Manga vollbringt. Es existieren genügend Manga, in denen der Leser Schwierigkeiten hat, die entsprechende Emotion aus dem Gesicht des entsprechenden Charakters herauszulesen, weil sie beispielsweise nicht deutlich genug herausgearbeitet wird oder nicht eindeutig ist. In It’s the Journey not the Destination weiß der Leser bei einem Blick auf Gesicht oder Körperhaltung der Figur hingegen sofort, was gerade in deren Inneren vorgeht. Überhaupt ist der Zeichenstil sehr ausgereift und wahrt innerhalb des Artworks eine ausgewogene Balance, sodass die Figuren visuell zwar nah an der Realität angelehnt, dabei aber noch als gezeichnete Charaktere zu erkennen sind. Die festen Konturen bilden dabei den Rahmen für eine leichtere Strichführung, mit der die Schattierungen der Gesichter gestaltet werden. Zusammenfassend kann trotzdem festgehalten werden, dass Ogeretsu Tanaka sich mit ihren Zeichnungen eher in Richtung von Werken wie Deadlock oder Hidden Flower einordnen lässt, welche sich inhaltlich und / oder vom Zeichenstil her (zum Beispiel in Bezug auf die Hintergründe und benutzten Gegenstände) an einer dem Leser bekannten und vertrauten Welt orientieren (hier beispielsweise dem Studentenleben) und in ihren Handlungen nicht von den Möglichkeiten abweichen, die diese Umgebung zu bieten hat. Das trägt dazu bei, dass diese Manga im Leser ein Gefühl von Vertrautheit wecken und ihn leichter in den Plot involvieren können, da er sich mit den Figuren und ihren Handlungen identifizieren kann.

Neben den schönen Zeichnungen an sich gibt es im Manga einige ungewöhnliche Perspektiven, aus denen diese gezeigt werden und die ich so bisher noch in keinem BL-Manga gesehen habe. Figuren, die von schräg oben oder unten gezeichnet sind, sind recht außergewöhnlich, schaffen jedoch intime Momente und setzten den Leser beispielsweise in eine Position, in der Naoto zwar sein Gesicht verdeckt und nach unten neigt, sodass andere Figuren es nicht sehen können, der Leser jedoch derjenige ist, der Naotos Gesichtszüge aufgrund einer unterhalb des Charakters stehenden Perspektive erkennen kann und dem so die unterdrückten Tränen der Figur nicht verborgen bleiben. Auf diese Weise wird eine sehr innige und intime Momentaufnahme kreiert, die den Leser – zumindest in diesem kurzen Moment – näher an der Figur heranrücken lässt. Nicht zuletzt auch, weil dieser Manga nur so vor emotionalen Situationen strotzt. Dauernd wird gekuschelt und geheult und umarmt und gedrückt, Lippen beißen aufeinander, Hände krallen sich in Jacken und Pullover – an manchen Stellen überrollen einen die Emotionen der Figuren wie ein Tsunami und das intensive Ende des ersten Bandes hätte mein schwaches Herz beinahe nicht verkraftet.

Erotik

An den erotischen Szenen hat mir besonders gefallen, dass sie – genau wie das Artwork – so aus dem Leben gegriffen sind. In vielen BL-Manga sind die Sexszenen oft lediglich schmückendes Beiwerk beziehungsweise der Leser ist sich nicht immer sicher, ob sich die beiden Hauptfiguren überhaupt lieben. In It’s the Journey not the Destination verhält es sich mit diesem Umstand anders. Naoto und Taichi sind ein wahnsinnig authentisches und erfrischendes und einfach wundervolles Paar, das sich unwahrscheinlich liebt und es ist eben diese Liebe, zu der auf ganz natürliche Art und Weise auch die sexuelle Ebene gehört. Das ist es, was mich öfter an reinen Shōnen Ai-Manga stört: Man weiß als Leser selbstverständlich, was man bekommt (oder eben nicht bekommt), wenn man einen Shōnen Ai liest, jedoch habe ich manchmal den Eindruck, dass in einigen Manga die körperliche Liebe beinahe krampfhaft ausgeklammert wird, was ich völlig widernatürlich finde. Sicherlich ist dieser Umstand unter anderem dem jungen Zielpublikum geschuldet, an welches sich diese Manga vornehmlich richten, jedoch ist Geschlechtsverkehr in einer Beziehung etwas natürliches und aus diesem Grund empfinde ich viele Shōnen Ai-Manga als irritierend unvollständig, wenn die Figuren bereits länger zusammen sind, aber niemals mehr als ein Kuss gezeigt wird (was auf der anderen Seite sicherlich Sinn macht, insofern es im Manga um den Prozess geht, in dessen Rahmen sich die Beziehung anbahnt oder entwickelt). Aber das ist alleine meine subjektive Ansicht und es existieren sicherlich auch ausreichend Argumente, die mein Empfinden widerlegen. Ich wollte einfach veranschaulichen, dass dieses Ausschließen sexueller Interaktion jugendlichen Lesern ebenfalls ein falsches Bild von Liebe und Beziehung vermitteln kann, nämlich ein vollkommen verklärtes und romantisch idealisiertes. Wobei, gut, das tun auch nicht wenige BL-Manga oder viele klassische Romance-Manga, in denen heterosexuelle Figuren im Zentrum stehen. Um mein wirres Geschreibsel kurz und knapp zum Abschluss zu bringen: It’s the Journey not the Destination bricht mit diesem ganzen Kitsch und und präsentiert wundervoll authentische Bettszenen, in denen die Erotik auch einmal hinter den Humor oder die harte Realität zurücktritt. Wir bekommen so neben wirklich heißem oder bittersüßem Sex auch herrlich alltägliche Szenen zu Gesicht. Zum Beispiel landen Naoto und Taichi nach ihrem Wiedersehen an der Uni betrunken miteinander im Bett und wachen am nächsten Morgen vollkommen verkatert auf, oder es kommt auch zu einer Szene, in der Taichi Naoto aus reiner Wut und Verzweifelung nimmt, was mich emotional ziemlich erschüttert hat. Der Manga zeigt, dass sich wirkliche Liebe eben nicht nur auf emotionaler Ebene abspielt, sondern diese durch die körperliche Komponente ergänzt wird.

Nichtsdestotrotz sind viele Bettszenen trotzdem sehr romantisch und werden durch wirklich süße Situationen eingeleitet und die Mangaka kann einmal mehr zeigen, dass sie sich auf eindrucksvolle Porträtzeichnungen und detaillierte Körper- und Proportionsstudien versteht. Man muss sich zunächst jedoch erst einmal an die Unmengen an Körperflüssigkeiten gewöhnen, die bei Naoto während des Sex fließen, aber ich denke, das muss man bei diesem sehr realistischen Zeichenstil wohl als gegeben hinnehmen *zwinker*. Die Geschlechtsteile sind zwar zensiert, aber dennoch tun sich im zweiten Band einige ‚Perspektiven‘ auf, die mir beinahe etwas zu realistisch waren, wenngleich sie sicherlich mit dem typisch neckischen Augenzwinkern der Mangaka gemeint sind, das an einigen Stellen durchzuscheinen scheint. Es wird nämlich an einer Stelle quasi die Aussicht aus dem Inneren von Naotos Poloch gezeigt, und hier wusste ich nicht so recht, ob ich jetzt lachen oder peinlich berührt sein sollte *hust*. Zudem scheint an Naoto so ziemlich alles zu zucken, was da zucken kann, während er sich mit Taichi im Bett vergnügt, nicht zu sprechen von den Geräuschen, die dabei entstehen. Ich muss zugeben, dass ich manchmal etwas überfordert war und das Gefühl hatte, irgendetwas sprengt gleich das Panel auseinander, aber mit der Zeit gewöhnt man sich an diese augenscheinliche Unordnung und sie stört einen nicht mehr. Allerdings darf man von diesem Manga keine ausschließlich harmonischen und ästhetisch durchkomponierten Sexszenen erwarten, dafür sollte man sich doch eher an Werke wie Ein melancholischer Morgen oder Verliebter Tyrann halten. Die Bettszenen in It’s the Journey not the Destination sind wie der gesamte Manga: Etwas Schmutz und Schmerz gehören zur Realität dazu. Es gibt aber auch ausreichend leidenschaftliche Szenen, in denen die beiden Protagonisten einfach übereinander herfallen und Mühe haben, ihre Sehnsucht nacheinander überhaupt im Zaun zu halten. An diesen Stellen wird man als Leser förmlich mitgerissen und hat das Gefühl, eine wirklich tiefe und ehrliche Liebe mitzuerleben. Hier kommt der Stift der Mangaka zur Ruhe und man genießt einzelne Panele mit wunderschönen und sehr innigen Zeichnungen, in denen Naoto und Taichi fest umschlungen daliegen und einfach die körperliche Nähe des anderen auskosten.

Und vielleicht noch zum Abschluss dieses Absatzes: Wie ihr euch sicherlich schon denken könnt, gibt es im Manga kein eindeutiges Uke-Seme-Schema. Naoto ist im Bett zwar Bottom, aber dies hat nichts damit zu tun, dass Taichi ein dominanter Charakter wäre, der dem klassischen Bild eines Seme entspricht. Die beiden jungen Männer scheinen einfach auch bezüglich ihrer sexuellen Präferenzen sehr gut miteinander zu harmonieren, wenngleich Taichi vom Charakter und seinem Aussehen her eindeutig die düstere Figur in der Beziehung ist und in dieser Hinsicht, wenn, dann einem Seme entsprechen würde. Objektiv betrachtet ist er jedoch ein lediglich schüchterner und sehr introvertierter Typ, der seine Gefühle nicht gerne zeigt und es mit einem solch strahlenden und extrovertierten Sonnenschein wie Naoto an seiner Seite nicht immer leicht hat. Ich finde es im Übrigen sehr schön, dass im Manga auch gezeigt wird, wie das Wesen unserer beiden frisch Verliebten sich im familiären Umfeld der jeweiligen Figur widerspiegelt und damit biographische Parallelen gezogen werden, die erklären, warum Taichi und Naoto als junge Männer so sind, wie sie eben sind.

Ganz zum Schluss, diesmal wirklich: Auch diejenigen unter euch, die auf etwas humorvollen Dirty Talk stehen, kommen ganz sicher auch auf ihre Kosten, denn Naotos und Taichis Konversation im Bett läuft zum Beispiel auch gerne einmal wie folgt ab:

Taichi: „Naoto, lass uns schlimme Dinge tun…“

Naoto: „…und das neue Jahr entjungfern!“

Figuren / Handlung

Die Handlung des Manga ist an sich wenig spektakulär und schildert neben der Entwicklung der Beziehung zwischen Naoto und Taichi vornehmlich Situationen aus dem alltäglichen Studentenleben der beiden, aber trotzdem zeichnet sie sich durch eine enorme Tiefe und Ernsthaftigkeit aus und weicht damit vom eintönigen 08/15-Campus-BL-Manga ab. Das liegt vor allem darin begründet, dass die Mangaka sich wirklich intensiv mit dem gesellschaftlichen Blickwinkel auseinandersetzt, der gegenüber schwulen Paaren eingenommen wird und vor welche enormen Herausforderungen diese Perspektive eine junge Liebe auch heute noch stellen kann. Man merkt in Bezug auf diesen Aspekt ganz deutlich, dass It’s the Journey not the Destination definitiv an ein erwachsenes Publikum gerichtet ist, woraus sich sicherlich auch die Altersfreigabe ab 18 Jahre ergibt. Die Highschool-Romanze zwischen Naoto und Taichi, die vor allem an Taichis vereinnahmendem Verhalten, seiner Eifersucht und seiner Unbeherrschtheit gescheitert ist, war noch nicht mit dieser gesellschaftlichen Problemstellung belastet, da sie insgesamt sorglos verlief und bald darauf und nach einigen heftigen Streitigkeiten zerbrach. Taichi, so viel kann man festhalten, ist kein einfacher Mensch, was unter anderem aus seiner familiären Situation resultiert. Sein Vater hat Taichis Mutter betrogen und Taichi, als Einzelkind aufgewachsen, musste aus diesem Grund bereits während seiner Schulzeit die Scheidung der Eltern verarbeiten, unter der er ganz offensichtlich sehr gelitten hat. Dementsprechend kämpft Taichi zuweilen mit starken Verlustängsten und neigt dazu, Naoto stark einzuschränken, sobald er den Eindruck gewinnt, dass dieser sich zu sehr auf einen fremden Menschen einlässt. In jedem dieser Figuren wittert Taichi einen potentiellen Konkurrenten. Hinzu kommen seine Introvertiertheit und stille Ernsthaftigkeit, die man erst einmal durchbrechen muss, bevor man Taichis bezauberndes und sehr seltenes Lachen zu Gesicht bekommt. Welch einen Kontrast bildet dazu Naoto, von Taichi liebevoll Nao genannt! Naoto wächst in einer Großfamilie auf, in der es immer lebhaft und liebevoll zugeht, und ist dementsprechend ein unglaublich heiterer Charakter mit viel Humor, der sich liebevoll um alle Menschen in seinem Umfeld bemüht und sie mit seiner offenen Art und allgegenwärtigen guten Laune mitreißt. Kein Wunder also, dass es zwischen dem introvertierten Taichi und dem extrovertierten Naoto, der sein Herz auf der Zunge trägt, häufig zu Reibereien kommt. Es zeigt sich jedoch schnell, dass Taichi, der in einem Streit sehr verletzend werden kann, aus seinen Fehlern der Vergangenheit gelernt und an sich gearbeitet hat und daher gegenwärtig durchaus in der Lage dazu ist, einen Schritt auf Naoto zu zugehen und sich bei diesem zu entschuldigen. Diese Entwicklung ist sicherlich der wachsenden Reife zuzuschreiben, die beide Figuren über die zurückliegenden Jahre erlangt haben. Die jugendlichen Probleme sind im Manga sehr erwachsenen Konflikten gewichen, denen Taichi und Naoto sich nun stellen müssen.

Die beiden Figuren halten ihre Beziehung sowohl an der Uni als auch vor ihren Familien geheim und so sind es lediglich zwei gute Freundinnen, die darum wissen, in welchem Verhältnis Naoto und Taichi tatsächlich zueinander stehen. Im ersten Band der Reihe stehen daher Naoto und dessen Umgang mit seinen Gefühlen Taichi gegenüber im Mittelpunkt. Der Mangaka gelingt es auf wundervoll leise und einfühlsame Art zu schildern, was Naoto quält: Er, der eigentlich nicht schwul ist und dennoch Taichi liebt, beginnt sich nach einigen sorglosen Wochen mit diesem zu fragen, ob er Taichi mit seiner Liebe nicht die Möglichkeit auf eine normale und glückliche Zukunft nimmt, mit einer liebevollen Ehefrau und Kindern an seiner Seite. In die Rolle der potentiellen Ehefrau setzt Naoto eine Komilitonin, Fumi, die ihrerseits in Taichi verliebt ist. Um dieser und Taichis Glück nicht im Weg zu stehen, zieht Naoto sich nach einem heftigen Streit mit Taichi von diesem zurück. Es wird jedoch schnell deutlich, dass es nicht ausschließlich Selbstlosigkeit ist, die die Figur zu dieser Handlung treibt, sondern auch die Angst davor, in der Beziehung auf der Stelle zu treten. Während heterosexuelle Paare heiraten und eine Familie gründen können, bleibt homosexuellen Paaren in Japan dieser Schritt verwehrt. Naoto fürchtet sich vor diesem Stillstand und der damit nie möglichen Weiterentwicklung der Beziehung und hat Angst, dass alleine die Liebe, die er für Taichi empfindet, nicht ausreichen könnte, um ihnen eine gemeinsame Zukunft zu schaffen. Hinzu kommt der Umstand, dass es Taichi erst gegen Endes des ersten Bandes gelingt, Naoto seine wirklichen Gefühle zu offenbaren: Dass er ihn liebt und mit ihm zusammen sein möchte, egal, welche Hindernisse sich den beiden in den Weg stellen mögen. Es ist letztendlich Taichi, der ganz fest daran glaub, dass auch eine Liebe zwischen Männern bestand haben kann. Mit diesem Handlungsstrang greift die Mangaka, denke ich, sehr realistisch ein Grundproblem auf, mit dem viele homosexuelle Paar konfrontiert werden, wenngleich die Einführung der gleichgeschlechtlichen Ehe und damit die Schaffung der Möglichkeit, Kinder zu adoptieren, in Deutschland ein sehr wichtiger und essentieller Schritt sind. Doch in vielen anderen Ländern der Welt – auch Japan – genießen männliche Paare dieses Privileg nicht und müssen nach wie vor um die gesellschaftliche Anerkennung ihrer Liebe ringen. Ich finde es sehr traurig, dass Liebe der Grund dafür sein kann, dass zwei Menschen an eben diesem ehrlichen Gefühl, das sie füreinander hegen, zerbrechen können, weil der gesellschaftliche Druck zu groß und belastend für die Beziehung ist. Jeder, der It’s the Journey not the Destination gelesen hat, wird diesen Konflikt, mit dem Taichi und Naoto belastet sind, nachempfinden können und deshalb halte ich diesen Manga für einen der empathischsten und wichtigsten BL-Manga, die bisher erschienen sind. Der Mangaka zolle ich für dieses Werk und seinen einfühlsamen und wertungsfreien Grundton großen Respekt. Sehr gelungen sind auch viele Zeichnungen, die dem Leser nicht mittels der Dialoge erläutert werden, sondern die alleine und unkommentiert für sich stehen und die man wirklich interpretieren muss, um sie in den Kontext einfügen zu können. Teilweise werden hierdurch starke Kontraste geschaffen. Es gibt zum Beispiel eine Szene, in der Taichi alleine in seinem Zimmer ist und sich fragt, ob er Naoto wirklich ein Outing zumuten kann. An dieser Stelle wird eine Zeichnung eingefügt, die Naoto (wohl in Taichis Gedanken) im Kreis seiner Freunde zeigt und mit welch breitem Lächeln er in deren Mitte sitzt. Der Leser spürt hier Taichis Einsamkeit, der er ohne Naoto ausgesetzt ist und kann gleichzeitig verstehen, dass es eben diese Einsamkeit ist, vor der Taichi Naoto unbedingt bewahren möchte, mit welcher er im Falle eines Outings aber gegebenenfalls konfrontiert würde. Es ist wunderschön, wie sich Zeichnungen und Text in It’s the Journey not the Destination zu einer unauflöslichen Einheit zusammenfügen.

Im zweiten Band, der einen Zeitsprung von drei Jahren schließt, stehen nicht mehr primär Naotos Zweifel im Fokus, sondern die von Taichi. Zu Beginn scheint es, als ob Taichi in Zukunft offen mit seiner Liebe zu Naoto umgehen will. Er bittet diesen darum, nach dem Studienabschluss mit ihm zusammen zu ziehen und erzählt Naoto, dass er sich vor seinem Vater outen will. Diese neue Situation muss Naoto erst einmal verarbeiten, doch schließlich öffnet er sich dem Wunsch seines Freundes und denkt ernsthaft über eine solche Möglichkeit nach. Das Verhältnis zwischen Naoto und Taichi ändert sich erneut, als Naoto diesen zu einem Treffen mit Taichis Mutter begleitet. Taichi ergreift dort eine sich bietende Gelegenheit und outet sich gegenüber seiner Mutter. Was danach geschieht, führt ihm jedoch vor Augen, dass er die gesellschaftlichen Hürden und Vorurteile, die für und über homosexuelle Paare bestehen, doch unterschätzt hat. Taichis Mutter reagiert entsetzt und erschrocken auf das Outing ihres Sohnes und gibt sich und der Scheidung von Taichis Vater die Schuld daran, dass der Sohn „in diese Richtung“ gedriftet ist und nun kein Vertrauen mehr in weibliche Partnerinnen setzen kann. Wütend, verletzt und zutiefst erschrocken verlassen Naoto und Taichi das Café. Dieses einschneidende Erlebnis und die ständigen Sticheleien eines Kommilitonen, Nishina, führen dazu, dass Taichi sich von Naoto distanziert und ihre Beziehung in Frage stellt. Er erkennt, welche Bedeutung ein Outing im schlimmsten Fall haben könnte: Dass Naoto, der für und durch seine Familie und Freunde lebt und glücklich ist, plötzlich von diesen separiert sein könnte, wenn sie seine Sexualität ebenso ablehnen sollten wie Taichis Mutter die ihres Sohnes. Ist Naotos Liebe stark genug, einen solchen Verlust aushalten zu können und vielmehr, hat Taichi das Recht dazu, Naoto dieses bisherige Leben, in dem er so glücklich ist, im schlimmsten Fall zu nehmen? Diese sehr ernste Frage wird im zweiten Band, der mit einem kleinen Cliffhanger endet, leider nicht aufgelöst, sondern der Leser ist zum Warten auf Band drei verdammt, der mittlerweile aber zum Glück ebenfalls erhältlich ist. Damit ist die Reihe abgeschlossen.

Fazit

It’s the Journey not the Destination ist ein Manga, den ich jedem und jeder von euch nur wärmstens ans Herz legen kann. Gerade die älteren Leser unter euch, die sich nach lauter kitschigen, rosaroten und stereotypen BL-Manga nach einem ernsten und erwachsenen Werk sehnen, werden in Ogeretsu Tanaka ihre Meisterin finden. Auf wundervoll sensible und tiefgehende, aber gleichzeitig humorvolle und warme Art und Weise behandelt die Autorin in den beiden bisher erschienen Bänden realistische Themen wie Freundschaft, Liebe, das Erwachsenwerden und die Probleme, mit denen homosexuelle Paare ins unserer heutigen Gesellschaft zu kämpfen haben. Die Zeichnungen sind, ebenso wie die Dialoge und Szenerien, äußerst realistisch gehalten und laden nicht nur zum ausgiebigen betrachten, sondern auch zum interpretieren und nachdenken ein. Die Handlung dürfte eher die Leser unter euch ansprechen, die ruhige und unspektakuläre Manga bevorzugen, sich aber von einem Plot packen und mitnehmen lassen, der besonders auf der emotionalen Ebene Spannungspotentiale erzeugt. Nicht zuletzt glänzt das Werk mit mitunter etwas schrulligen oder chaotischen, aber immer romantischen und ausgiebigen Sexszenen, die keine Wünsche offen lassen. Nicht zuletzt überzeugt Ogeretsu Tanaka mit sehr individuellen und liebevoll gestalteten Charakteren, die man sofort ins Herz schließen muss. Die Figuren agieren losgelöst von den üblichen BL-Rollen-Stereotypen und machen es dem Leser leicht, sich mit ihnen zu identifizieren und ihre Konflikte nachzuvollziehen. Insgesamt handelt es sich um eine sehr ruhige und ausgereifte BL-Reihe, die ihre Stärken im Charakterdesign, der inhaltlichen Problemstellung und ihrer realistischen Darstellungsweise ausspielt. Wer also klassische Bishōnen, einen zuckrigen Plot und klar verteilte Uke- und Seme-Rollen bevorzugt, der dürfte mit It’s the Journey not the Destination einen Fehlgriff landen.

Jaa mata ne, eure Amaya!


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