Titel10 Dance

Genre: Shōnen Ai, Comedy, Drama, Romance, Dance, Sport, Slice of Life

Zeichnungen / Story: Satoh Inoue

Bände: 2 / fortlaufend

Verlag: Carlsen Manga

Erscheinungsjahr des 1. Bands: 2016

Erotische Szenen: Bisher keine

Die Reihe kann man leider nicht mehr direkt über Carlsen Manga beziehen, aber es gibt sie z.B. bei Amazon.

Vielleicht wundert ihr euch an dieser Stelle, dass ich heute bereits mit dem zweiten Shōnen Ai-Manga hintereinander ankomme, aber ich muss zu meiner Verteidigung sagen, dass 10 Dance vor einigen Wochen mein Herz gestohlen hat und ich euch die Reihe eigentlich bereits vor meiner Pause vorstellen wollte, weshalb es nun nicht anders ging: Dieses wundervoll warmherzige und mit einer Prise Ironie gewürzte Werk muss raus aus meinem Kopf, damit ihr nächste Woche endlich wieder einen Beitrag zu einem ‚richtigen‘ BL-Manga lesen könnte *zwinker*. Ich bin ganz zufällig über die Reihe gestolpert, weil ich vor einigen Monaten den Anime Welcome to the Ballroom gesehen und mich daraufhin in eine wüste Internet-Recherche gestürzt habe, um herauszufinden, ob zu dem Anime eine deutschsprachige Publikation des dazugehörigen Manga geplant ist. Der ursprüngliche Interessengegenstand meiner Suche war schnell vergessen, nachdem ich auf 10 Dance stieß, und kurzerhand bestellte ich mir die beiden bisher erschienen Bände, obwohl ich eigentlich nicht unbedingt sooo furchtbar gerne Shōnen Ai-Manga lese. Da muss ich schon auf ein ganz besonders Prachtstück stoßen, wie in diesem Fall geschehen. Dann mache ich auch gerne einmal eine Ausnahme von der Regel. Ihr müsst wissen, dass ich, sowohl in Bezug auf Manga als auch auf Anime, einen kleinen Sport-Fetisch habe. Ich liebe Reihen und Serien wie FreeHaikyū oder Yūri!!! On Ice. Werde ich von ahnungslosen Freunden auf diese Leidenschaft angesprochen, kommen die stets in den Genuss eines zehnminütigen Spontanvortrags. Sport-Anime und -Manga bieten meiner Meinung nach einfach eine sehr gelungene Mischung aus Spannung (die Wettkämpfe) und emotionalen Momenten (Themen wie Freundschaft, Lebensträume oder – natürlich – Liebe), die mir in anderen Genres manchmal fehlt. Kurz und knapp: 10 Dance ist zwar aktuell noch kein richtiger BL-Manga, aber aufgrund des Sport-Genres habe ich mich hinreißen lassen. Man könnte natürlich auch sagen, ich bin knackigen Männern gegenüber mal wieder schwach geworden *räusper*… Ihr merkt – ich komme an diesem Punkt besser fix zum Inhalt der Reihe!

Inhalt

Der Inhalt von 10 Dance ist eigentlich schnell wiedergegeben: Shinya Sugiki und Shinya Suzuki sind beide gefeierte Tänzer der nationalen Balltanz-Szene in Japan. Auf dem Papier unterscheiden sich die jungen Männer nur durch ein einziges Kanji-Zeichen in ihren Vornamen, doch charakterlich könnten sie unterschiedlicher kaum sein, was sich vor allem in ihren Wettkampfdisziplinen ausdrückt. Der reservierte und ehrgeizige Standardtänzer Sugiki ist auch auf internationalem (Tanz)Parkett eine strahlende Lichtgestalt und die Nummer Zwei der Weltrangliste, während sich die Karriere des temperamentvollen und direkten Suzukis, der auf lateinamerikanische Tänze spezialisiert ist, bislang auf den japanischen Raum beschränkt.

Nach der japanischen Meisterschaft, die beide Shinyas in ihrer Disziplin gewinnen, fordert Sugiki Suzuki heraus: Innerhalb eines Jahres will er ihn die fünf Standardtänze lehren, während Suzuki ihn im Gegenzug im Lateintanz unterrichten soll. Das Ziel ist dabei klar abgesteckt: Die beiden Männer möchten sich nach Ablauf der zwölf Monate im 10 Dance messen, einem internationalen Tanzwettbewerb, der den Teilnehmern als einziger Wettkampf alle zehn Tänze abverlangt – je fünf Standardtänze und fünf lateinamerikanische Tänze. Suzuki nimmt zunächst nur sehr widerwillig das Training auf, lässt sich aber bald von Sugikis Ehrgeiz und einer Leidenschaft mitreißen, die sich nicht mehr nur auf das Tanzen, sondern mehr und mehr auch auf seinen neuen Tanz- und Trainingspartner richtet. Zwischen den beiden Männern entwickelt sich im Laufe der Zeit ein ambivalentes Verhältnis, im Rahmen dessen Sugiki und Suzuki einander sowohl abstoßen als auch anziehen und es entstehen Gefühle des Verlangens und Begehrens, die besonders Suzuki mehr und mehr verwirren.

Artwork / Gestaltung

Was mir am insgesamt sehr eigenwilligen Artwork besonders gefällt, ist der erwachsene Zeichenstil der Mangaka. Die Figuren in 10 Dance entfernen sich optisch recht weit vom durchschnittlichen BL-Mangacharakter mit großen Augen und einer teilweise geschlechtsneutralen Körperstatur, die sich häufig in langen und filigranen Gliedmaßen und einem schlanken und beinahe femininen Oberkörper spiegelt. Sugiki und Suzuki sind – unter visuellen Gesichtspunkten – verhältnismäßig realistisch dargestellt, mit einem kräftigen, trainierten, athletischen und sehr männlichen Körperbau und eben solchen Gesichtszügen. Ich denke, diese sind es auch, die das Artwork so markant wirken lasse und vielleicht den einen oder anderen Leser unter euch abschrecken könnten. Hin und wieder fand ich die zeichnerische Darstellung der Figuren beinahe etwas übertrieben beziehungsweise war beim Lesen der Meinung, dass sie dieses typische ‚Schwulenklischee‘ aufgreift, das viele Leute oft gegenüber Männern anbringen, die Tanzen als Sport betreiben. Ich weiß nicht genau, ob das Zufall oder von der Mangaka bewusst so gewollt war, da ich keine anderen Werke von Satoh Inou kenne, aber zum Grundton des Manga würde in dieser Hinsicht durchaus eine ironische Intention passen.

Besonders Suzuki verfügt tendenziell über ‚Til-Schweiger-Gesichtszüge‘, wie ich sehr männliche Gesichtsproportionen gerne nenne *zwinker*. Darunter fallen eine ausgeprägte Kinn- und Backenknochenstruktur, wulstige Brauenansätze, eine eher scharf geschnittene Nase, vor allem im Profil, und volle Lippen. In gewisser Hinsicht weisen die Figuren Merkmale der Charaktere auf, die Shungiku Nakamura in ihren Werken gestaltet, zum Beispiel in Sekaiichi Hatsukoi . Das ist ein Stil, den man mögen muss. Wer beim Lesen von BL-Manga großen Wert auf idealisierte Bishōnen legt, der wird hier eher nicht auf seine Kosten kommen. Die Figuren sind immer noch sehr attraktiv und schön anzusehen, aber sie sind eben ‚echte Kerle‘. Dafür sollte das Werk allen gefallen, die Wert auf wundervolle und zum Teil sehr romantische Zeichnungen legen, denen man noch ansieht, was sie sind – so wie ich! Aus unzähligen Beiträgen solltet ihr ja mittlerweile wissen, dass ich Artworks liebe, die eher skizzenhaft gehalten wurden und bei denen auf den Einsatz von zu viel Rasterfolie verzichtet wird. 10 Dance erfüllt diese Voraussetzungen und im Rahmen der graphischen Bearbeitung wurde trotzdem sehr schön das grundlegende Problem solcher Werke gelöst – sie wirken durch mangelnde Kontraste schnell langweilig und wenig einprägsam. Während bei den Figuren die Schwarz-Weiß-Kontrastierung sparsam eingesetzt wurde und sich hauptsächlich auf Haarfarbe und Kleidung beschränkt, werden die Hintergründe, egal ob abstrakt oder realistisch, mit Hilfe der Rasterfolie gelungen in Szene gesetzt und tragen dazu bei, dass sich die Figuren entweder gut hervorheben oder in den Hintergrund einfügen. Nur Porträtzeichnungen, die stark hervorgehoben werden sollen oder in denen die Mimik der Figuren im Zentrum steht, werden in einigen wenigen Fällen mit Rasterfolie und intensiveren Schattierungen herausgearbeitet.

Welche Zeichenmaterialien die Mangaka verwendet hat, konnte ich nicht eindeutig identifizieren. Die kolorierten Zeichnungen, die man zu 10 Dance finden kann, sehen sehr weich aus und die Farben fließen ineinander, weshalb ich annehme, dass hierfür Aquarellfarben oder die in der Manga-Szene üblichen Copic Marker eingesetzt wurden. Für die Zeichnungen im Manga kam wahrscheinlich ebenfalls ein Stift auf Wasserbasis zum Einsatz, etwa ein Marker für Outlines, weshalb die Linienführung zwar fein, aber dennoch kräftig wirkt. Die Mangaka führt ihren Stift sehr sicher und zielgerichtet und es finden sich kaum offensichtlich mehrfach gezogene Striche, wenngleich an vielen Stellen durchscheint, dass die Zeichnungen sehr liebevoll per Hand angefertigt wurden. Mir sind im Übrigen primär die Augenbrauen der Figuren ins Auge gefallen (kann man das so schreiben *kicher*?), die sehr prominent das Gesicht der Charaktere dominieren und unter anderem ursächlich für die ausdrucksstarke Umsetzung der Mimik sind. Vielleicht ist mir das bei anderen Manga nie aufgefallen, aber ich finde die Brauen in 10 Dance außergewöhnlich auffallend, was den Figuren allerdings sehr viel Authentizität und einen intensiven und lebendigen Gesichtsausdruck verleiht. Damit ist die realistische Mimik der Charaktere insgesamt einer der Punkte, die mich an dem Manga restlos begeistert haben. Die manchmal konzepthafte Wirkung des Artworks und sein Skizzencharakter entstehen aus dem erwähnten Umstand, dass bei vielen Panelen auf eine Kolorierung der Figuren und Hintergründe verzichtet wird, weshalb die Zeichnungen oft einen sehr zweidimensionalen und schlichten Eindruck erwecken. Ich mag aber diese klassischen und sehr auf künstlerisches Grundhandwerk reduzierten Werke, weshalb 10 Dance für mich persönlich ein richtiger Augenschmaus war.

Außerdem setzt der Manga einige wirklich außergewöhnliche Gestaltungsmittel ein, die ich bisher so noch nicht gesehen habe. Es kommen zum Beispiel Strichmännchen vor, ein Videochat wird – in Bezug auf die zeichnerische Darstellung – wirklich meisterhaft umgesetzt und die vielen schrägen Perspektiven bringen eine unheimliche Dynamik in die Szenerie des Manga!

Erotik / romantische Szenen

Natürlich gibt ein Shōnen Ai-Manga nicht viel an explizit erotischen Szenen her, aber trotzdem muss ich sagen, dass es in 10 Dance prickelt, und das nicht nur aufgrund der Tanzthematik. Sugiki und Suzuki sind als Figuren eine recht eigentümliche Paarung, die zunächst nicht richtig zu passen scheint. Nicht nur optisch, sondern auch charakterlich sind die beiden Männer so unterschiedlich, dass man sich zu Beginn wirklich nur sehr schwer vorstellen kann, dass die beiden jemals einen Draht zueinander finden werden. Doch alleine dadurch, dass die beiden Shinyas extrem passionierte und sehr leidenschaftliche Tänzer sind, generiert sich bereits im Verlauf der ersten Seiten eine erotisch angehauchte Atmosphäre, die sich immer weiter steigert, je intensiver und intimer die beiden Tänzer während ihres Trainings miteinander agieren. Besonders die lateinischen Tänze, die viel Haut zeigen und Körperkontakt fordern, tragen natürlich ihren Teil dazu bei, dass die Funken nur so fliegen.

Zunächst ist die seltsame Beziehung, die Sugiku und Suzuki miteinander führen, jedoch von eher kurioser und ein wenig peinlich berührter Natur. Mir gefällt der humorvolle Grundton, mit dem die Mangaka diese Szenen anfänglich gestaltet. Als Sugiki und Suzuki das erste Mal gemeinsam die Tanzhaltung im Standard trainieren, haben sie ungewollten Körperkontakt an Stellen, die bei Männern unter normalen Umständen nicht aufeinander treffen *räusper*… Da beide Figuren in solchen Situationen kein Blatt vor den Mund nehmen und speziell Suzuki hin und wieder verbal sehr direkt und unverblümt auf diesen ungewohnten Körperkontakt reagiert, ließen sich einige Lachflashs auf meiner Seite nicht vermeiden. An einigen Stellen macht der Manga unfassbar gute Laune und nimmt das Tanzen beziehungsweise die männlichen Tänzer sehr selbstironisch auf die Schippe. Dieses Spiel mit Klischees fand ich wundervoll. Gerade der Lateintanz bot der Mangaka offensichtlich ein weites Feld, auf dem sie sich humoristisch richtig austoben konnte. Auf die Highlights werdet ihr selbst stoßen, wenn ihr den Manga lest *grins*. Gerade Suzuki ist nicht ganz frei von einigen Klischees, was einem sofort auffällt, wenn man seinen braungebrannten Teint, die blondierten Haare und den Kleidungsstil betrachtet. Die Annahme, dass er schwul sein könnte, liegt nicht all zu fern, wenngleich dies im Manga eigentlich nicht der Fall zu sein scheint.

Erotik kommt vor allem dann auf, wenn die beiden Shinyas miteinander tanzen. Zu dem besonderen Verhältnis, in dem die beiden Männer zueinander stehen, werde ich im Abschnitt „Figuren“ noch einige Worte verlieren, weshalb ich mich an dieser Stelle auf die Darstellungsweise im Manga beschränken möchte. Durch das intensive Training, in dessen Rahmen sich Sugiki und Suzuki gegenseitige den Latein- und Standardtanz beibringen, sind die beiden Figuren dazu gezwungen miteinander zu kommunizieren und zu interagieren, vor allem natürlich auf der körperlichen Ebene. Und das, obwohl Sugiki und Suzuki bisher in einem starken Konkurrenzverhältnis zueinander standen, in dem sich vornehmlich Suzuki als der benachteiligte Part betrachtet hat, da er und seine Tanzdisziplin stets im Schatten des alles überstrahlenden Sugikis stehen. Nach und nach entdecken die beiden Männer fernab ihres Konkurrenzkampfes jedoch, dass sie – nach einigen Startschwierigkeiten – als Tanzpaar nicht nur beinahe perfekt miteinander harmonieren, sondern auch eine Leidenschaft für den Tanzsport teilen, der sie auf einer emotionalen Ebene miteinander verbindet und eine Faszination für ihr jeweiliges Gegenüber weckt, die über gewöhnliche Neugier hinausgeht. Auf dieser Grundlage entwickelt die Mangaka einige erotische Szenen, die mein Herz haben klopfen lassen, obwohl es lange Zeit noch nicht einmal zu einem Kuss zwischen den beiden Protagonisten kommt. Aber die sexuelle Spannung, die hierdurch vermittelt wird, spürt der Leser im Manga beinahe selbst körperlich. Es sind zunächst eigentlich kleine Szenen, wie jene, in der Sugiki Suzukis verstecktes Tattoo an der Hüfte ins Auge fällt, während dieser mit nacktem Oberkörper tanzt und Sugiki (mit dessen Hand auf seiner Hüfte *-*!) in die Bewegungen des Lateintanzes einführt, die das feine Näschen eines BL-Manga liebenden Otakus kribbeln lassen *grins*.

Satoh Inoue versteht es meisterhaft, mit dieser erotischen Spannung zu spielen und sie in intensive Zeichnungen zu übertragen. Jeder Tanz der beiden Shinyas lässt den Leser an den Nägeln knabbern und mit rasendem Herzen und der Frage zurück, ob es endlich zum ersehnten Kuss kommen wird. In diesem Zusammenhang möchte ich auch noch einmal auf die Oben-ohne-Szenen der Männer hinweisen – es ist eine Augenweide, wie ästhetisch und meisterhaft die Mangaka die Muskulatur der Figuren in ihren Zeichnungen herausarbeitet, wenn diese sich im Rhythmus einer für den Leser unhörbaren Musik bewegen. Die ganze Sache wird im Übrigen nicht wirklich dadurch besser, dass Sugiki und Suzuki sich beim Tanztraining sexuelle Zweideutigkeiten um die Ohren schlagen, die mich manchmal etwas rot werden haben lassen. Tanzen hat immer etwas mit Erotik und dem Spiel mit sexuellen Reizen zu tun, daran lässt vor allem Suzuki keinen Zweifel, der seine Rolle als Verführer ganz offensichtlich sehr genießt. Der Manga führt und verführt seinen Leser mit Berührungen zwischen Sugiki und Suzuki, die erforderlich für den Tanz sind und dabei doch mehr andeuten und meinen als die bloße Beziehung zwischen Führendem und Geführtem. Die großformatigen oder doppelseitigen Zeichnungen, in denen die Panele miteinander verschmelzen oder nicht mehr vorhanden sind und die die beiden Männer tanzend zeigen und emotional aufgehend in dem Moment, den sie miteinander teilen, sind einige der schönsten, die mir bisher in einem BL- oder Shōnen Ai-Manga untergekommen sind. Der Hintergrund leert sich vollkommen und die zuvor festen schwarzen Striche, mit denen die Mangaka die Figuren porträtiert hat, nehmen eine Leichtigkeit und Zartheit an, die an luftige Bleistiftskizzen erinnern und sich mit der dezent eingesetzten Rasterfolie zu einem romantischen und beinahe märchenhaften Setting verbinden. Alles glitzert und kleine Sterne funkeln. Wenn Sugiki und Suzuki in völliger Einheit über das Parkett oder durch den Stadtpark wirbeln, ist das – zugegeben – ziemlich kitschig, aber Mädels, ganz ehrlich: Mein Herz hat diesem Sturm aus Gefühlen nicht Stand gehalten und ist geschmolzen wie eine Schokoladenpraline in der Frühjahrssonne. Alle Romantiker/-innen werden definitiv die ein oder andere Szene in 10 Dance aufstöbern, die euer Gehirn in die Wolken steigen lässt *zwinker*. Meins ist übrigens schon weg *seufz*! Der Fokus, den die Mangaka in diesen Situationen auf die Hände der beiden Männer legt, wie sie sich gegenseitig die ihre anbieten, wird mittels wundervoller Detailzeichnungen gesetzt. Ich habe noch nie so schöne Handzeichnungen gesehen! Die Verbindung, die zwischen den beiden Männern entsteht und wächst, wird hier eindrücklich symbolisiert. Letztendlich sind es auch Suzukis Hände, die die erste zärtliche und verzweifelte Berührung andeuten, welche den Leser erkennen lässt, dass dieses Verhältnis den Rahmen einer bloßen Zweckbeziehung oder sporadischen Freundschaft verlassen hat. Um es mal mit den Worten von Usagi auszudrücken:

Figuren

Der Kontrast zwischen Romantik, Ästhetik, Erotik und Humor auf der einen Seite und Ernsthaftigkeit, Sexualität und Dramatik auf der anderen Seite ist es, der sowohl den Manga als auch die Figuren in 10 Dance sehr reizvoll und komplex gestaltet. Was mir sehr gefallen hat, ist, dass es im Werk nicht die eindeutige Rollenverteilung gibt, die man in der Regel in BL-Manga bei den männlichen Protagonisten vorfindet. Ich weiß nicht, was passieren wird, wenn Sugiki und Suzuki wirklich irgendwann miteinander im Bett landen sollten. Sugiki ist im Alltag zwar ein passiver Charakter, der kaum Emotionen zeigt und seine Gefühle nie offen auslebt, doch andererseits sehr zielstrebig agieren kann und sich vor allem in sportlicher Hinsicht rücksichtslos das nimmt, was er benötigt, um seine hoch gesteckten Ziele zu erreichen. Mit seinen Starallüren und seinem Gezicke bringt er Suzuki gerne auf die Palme. Insgesamt hat Sugiki weichere Gesichtszüge als Suzuki (was vielleicht auch seiner Herkunft geschuldet sein mag, denn endlich bekommt man einen Japaner zu Gesicht, der wirklich wie ein Japaner aussieht) und wirkt femininer, doch es umgibt ihn stets eine etwas unnahbare und aalglatte Aura, die zu durchschauen nicht nur dem Leser sehr schwer fällt. Suzuki beißt sich an dem Standardtänzer zu Beginn ziemlich die Zähne aus und auch mir fiel es nicht leicht, die Figur einzuordnen. Welchen Gegensatz bildet dazu Suzuki! Der Lateintänzer ist – ganz Latino – ein waschechter Macho und lässt dies nicht nur auf dem Tanzparkett raushängen. In seiner Freizeit stürzt er sich gerne in wilde Affären und One-Night-Stands mit Frauen. Er trägt sein Herz auf der Zunge und lebt und liebt hemmungslos und sehr leidenschaftlich. Wenn man ihn reizt oder aus der Reserve lockt, tut er gerne Dinge, die er später bereut. So ist auch die Annahme der Herausforderung, mit seiner Partnerin am 10-Dance-Wettkampf teilzunehmen, aus dem Affekt heraus zustande gekommen. Dass Suzuki in Kuba aufgewachsen ist, hat sowohl seinen Lebensstil als auch seinen Charakter geprägt. Es gefällt ihm anfänglich gar nicht, dass er sich beim Standardtraining dem kalten und seiner Meinung nach übertrieben ehrgeizigen Suguki unterordnen soll, der zudem sein schärfster Konkurrent ist. Nach und nach entdeckt Suzuki jedoch, dass er auch eine feminine Seite besitzt und lässt sich willig von Sugiki führen, bevor dieser nach dem Trainingsdurchbruch der beiden endgültig die weibliche Rolle übernimmt. Charakterlich entsprechen die beiden Figuren also insgesamt sehr gut dem Bild, dass man von einem Latein- oder Standardtänzer hat.

Was den Manga auszeichnet, ist, dass es nicht bei dem Eindruck eines oberflächlichen Charakterdesigns bleibt, den man in der ersten Hälfte des ersten Bands zunächst bekommen mag. Mit jedem Kapitel erlangen die Figuren Tiefe und Komplexität und es zeigen sich nach und nach auch die Schattenseiten von einem Leben, das ganz dem Tanzsport verschrieben ist, besonders bei Sugiki, der sowohl in der Vergangenheit als auch in der Gegenwart große persönliche Opfer bringen musste und muss, um seine sportlichen Ziele weiter verfolgen zu können. Ich denke, dass es letztendlich dieses Wissen ist, das Suzuki weiter und weiter in den Bann dieses Mannes zieht und ihn schließlich untrennbar mit Sugiki verknüpft. Ebenso werden persönliche Schicksalsschläge von Sugikis und Suzukis Partnerinnen thematisiert, die mich an zwei Stellen schwer haben schlucken lassen. Sie zeigen, welche bedingungslose Hingabe der Sport einem Profitänzer selbst im alltäglichen Leben abverlangt und welche moralischen Grenzen für den Erfolg auch einmal überschritten werden (müssen). Die beiden Tänzerinnen Fusako und Aki sind im Übrigen sehr sympathische Nebenfiguren, die mit ihren Partnern auf eine beinahe familiäre Art und Weise verbunden sind und die beiden exzentrischen Shinyas hin und wieder erden müssen. Ich fand es schade, dass ihnen im Manga nicht mehr Raum zugedacht wird. Aber vielleicht ändert sich dies in den (hoffentlich) kommenden Folgebänden ja noch. Neben der Entwicklung der Beziehung zwischen Sugiki und Suzuki steht ganz klar der professionell betriebene Tanzsport an sich im Mittelpunkt des Manga. Dem Leser werden Tanzstile, Schrittfolgen und Techniken erklärt, doch zum Glück geht es nicht um die technischen Aspekte, sondern um den Motor, der die Tänzer antreibt: Die Leidenschaft für und die Hingabe an einen Sport, für den man geboren sein muss.

Dies ist der wesentliche Aspekt, der die beiden männlichen Protagonisten am Ende so untrennbar miteinander verschmelzen lässt: Sie teilen tief im Herzen eine ähnliche Einstellung zum Tanzsport, die sich mehr und mehr offenbart, je näher die beiden einander kennenlernen. Die körperliche Verbindung, die beim Tanzen durch das Reichen der Hände symbolisiert wird, mündet in eine Seelenverwandtschaft, die mit einem tiefen gegenseitigen Verständnis der Gefühle und Gedanken des Gegenüber einhergeht. In diesem Idealzustand, den ein professionelles Tanzpaar zu erreichen anstrebt, ist eine Kommunikation ohne Worte und Gesten möglich. Das Tanzen erfolgt intuitiv und basiert auf dem gegenseitigen Austusch von Gefühlen, die über den eigenen Körper in den des Partners hineinfließen. Suzukis leidenschaftliche Hingabe an die Musik und Sugikis beinahe krankhafte Sehnsucht danach, die World Championship zu gewinnen, die zu seinem tänzerischen Lebensziel wird, vermischen sich, wenn die beiden Shinyas miteinander Tanzen, zu einem Chaos aus Gefühlen, in dem vor allem Suzuki irgendwann nicht mehr auseinander halten kann, ob seine augenscheinliche Liebe für Sugiki wirklich eine solche ist, die er gegenüber einer Frau empfinden würde, oder eher ein leidenschaftlicher Affekt, eine Mischung aus Bewunderung, Konkurrenzdenken und einer durch den Tanz initiierten erotischen Anziehung. Suzuki scheint zu schwanken, zu straucheln und zu Beginn des zweiten Bands tatsächlich ernsthaft in Sugiki verliebt zu sein, wenngleich er dies gegen Ende des Bandes negiert und Sugiki gegenüber behauptet, er sehe ihn lediglich als einzigen ebenbürtigen Rivalen. Sugikis Gefühle werden durch kleine Gesten im Verhältnis deutlicher. Er scheint bereits seit einiger Zeit Interesse an der Suzukis Person zu haben und ist fasziniert von dem Gedanken, diesen Mann nun an seiner Seite zu wissen. Vielleicht genießt er das Gefühl, Suzuki zu besitzen, sogar etwas.

Am Ende des zweiten Bandes, mit dem die Reihe in der deutschen Übersetzung vorerst endet, bleiben viele Fragen offen: Was fühlen die beiden Shinyas wirklich füreinander? Wie wird sich die Beziehung weiterentwickeln? Ist eine der beiden Hauptfiguren schwul? Diese Fragen sind bisher nicht eindeutig geklärt und ich konnte sie – besonders für Suzuki -, basierend auf den bisher in Deutschland publizierten Heften, nicht zweifelsfrei beantworten. Die echten Otakus unter uns wissen aber sicherlich, dass es möglich ist, die Reihe in einer englischen Übersetzung weiterzulesen. Da ich das getan habe *räusper*, an dieser Stelle jedoch nicht spoilern möchte, nur so viel: Ab Band drei wird doch recht offensichtlich, dass das Verhältnis der beiden Tänzer sich eindeutig in Richtung einer zarten und sehr leidenschaftlichen Liebe entwickelt.

Fazit

10 Dance von Satoh Inoue ist eindeutig ein Shōnen Ai-Manga für die sportbegeisterten Leserinnen unter euch, denen Serien wie Yūri!!! On Ice gefallen. Ihr müsst euch allerdings darauf einstellen, dass zwischen den beiden Protagonisten zwar die Funken fliegen, es aber besonders im ersten Band zu keinen expliziten Szenen kommen wird und die Mangaka bis hier auch Küsse sehr sparsam dosiert. Die Unklarheit, die zwischen Suzuki und Sugiki bezüglich ihres tatsächlichen Verhältnisses zueinander bestehen bleibt, kann einen schon in den Wahnsinn treiben. Ich habe mich an dem Manga emotional etwas aufgerieben und wenn ihr wenig Wert auf sexuelle Spannung legt und lieber Werke mögt, in denen es ’schnell zu Sache geht‘ und die Fronten eindeutig geklärt sind, dann solltet ihr besser nicht zu dieser Manga-Reihe greifen. Wer aber den Mut dazu hat, der wird mit einem sehr markanten, aber wirklich aus der Masse herausstechenden Artwork belohnt, das gekonnt mit Klischees und Vorurteilen spielt, eine gute Mischung aus Ernsthaftigkeit und Humor bietet und den Leser mit heißen Tanzszenen und teilweise märchenhafter Romantik mitreißt. Die klare Strukturierung und die liebevoll und oft mit einem Augenzwinkern gestalteten Texte runden diesen wirklich wundervollen Manga ab. Neben dem Tanzsport, der thematisch den größten Raum der Reihe für sich beansprucht, stehen Themen wie Lebensträume, Schicksalsschläge und Seelenverwandschaft im Zentrum. Im Wesentlichen geht es um die Frage, die über vielen Manga des BL-Genres schwebt: Wenn sich zwei Menschen sich im innersten Kern ihres Wesens, ihrer Seele oder ihres Herzens so ähneln, dass sie ohne einander nicht mehr leben können, weil sie im anderen Halt, Heimat und sich selbst finden – wo fängt dann Liebe an, wo hört bloße Freundschaft auf, gibt es etwas dazwischen und kann ein solches Gefühl der Verbundenheit stark genug sein, dass es die Grenzen der eigenen Sexualität sprengt? Um es in ein paar knappen Worten zu formulieren: Wie definiert sich Liebe und was macht sie aus?

Mit diesen tiefsinnigen Worten verlasse ich euch heute.

Jaa mata ne, eure Amaya!


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