Titel: Given

Genre: Shōnen Ai, Boys‘ Love, Drama, Romance, School Life, Music

Zeichnungen / Story: Natsuki Kizu

Bände: 5 / fortlaufend

Verlag: Egmont Manga

Erscheinungsjahr des 1. Bandes: 2018

Erotische Szenen:

Egmont Manga beheimatet viele meiner Lieblingsreihen, unter anderem auch diese.

Ich bin wieder daaaaa! Nach langen Wochen gibt es endlich ein Lebenszeichen von mir. Es tut mir so leid! Vielleicht hätte ich meine Pause im letzten Beitrag ankündigen sollen, aber sie war zu dem Zeitpunkt noch nicht abzusehen und es kam mir komisch vor, einfach nur einen Post zu veröffentlichen, indem ich die Gründe für meine Abwesenheit erkläre. Darauf will ich eigentlich auch nicht näher eingehen, an dieser Stelle deshalb nur so viel: Ich hatte viel zu tun, war im Urlaub, war krank – da kamen rasend schnell vier Wochen zusammen. Manchmal frage ich mich, wann endlich jemand den Schalter erfindet, der die Zeit anhält. Ab jetzt werde ich mich jedenfalls darum bemühen, wieder regelmäßig etwas zu schreiben. Zeit genug zum Ausruhen hatte ich ja. Deswegen geht es heute gleich mit einem Manga los, der – wie ich finde – eine echte Entdeckung ist, obwohl man ihn bisher (in Deutschland ist gerade der erste Band erschienen, der zweite kommt Mitte Juli raus) noch nicht einmal als Shōnen Ai-Manga kategorisieren kann. Was zwischen den beiden Hauptfiguren in Zukunft passieren wird, kann der Leser aktuell nur erahnen. Allerdings gibt es genug unzweideutige Andeutungen, die der routinierte BL-Manga-Leser ohne viel Federlesen als prickelnde Vorboten interpretieren wird. Wobei ich nicht genau weiß, ob der Manga tatsächlich als BL-Manga umgesetzt werden wird oder ob es die Mangaka bei einem Shōnen Ai-Werk belassen wird. Aber ich finde es recht spannend, wenn man einmal nicht von Anfang an weiß, wohin die Reise führen wird – das hat auch seinen Reiz!

Inhalt

Uenoyama will die Mittagspause in der Schule nutzen, um sich bei einem kleinen Nickerchen vom Schulstress zu erholen. Als er jedoch seinen neu entdeckten Schlafplatz ansteuert, ist der bereits von einem zweiten Faulenzer besetzt – Mafuyu, der eine E-Gitarre mit gerissenen Saiten im Arm hält und ganz offensichtlich keine Ahnung hat, wie man das Musikinstrument spielt oder repariert. Uenoyama lässt sich von der etwas weltfremden und ausdruckslosen Art des Jungen reizen und erneuert nicht nur die kaputten Saiten der Gitarre, sondern stimmt sie auch. Mafuyu ist begeistert von Uenoyamas Können und bittet ihn darum, ihm Gitarrenunterricht zu geben. Uenoyama, der eigentlich mit der Arbeit in seiner Schulband schon vollkommen ausgelastet ist, lehnt zunächst ab, schafft es aber nicht Mafuyu abzuschütteln, der sich fortan hartnäckig an Uenoyamas Fersen heftet und ihm bis zu den Bandproben folgt. Die anderen Bandmitglieder tolerieren den Neuzugang wesentlich williger und nachdem Uenoyama feststellt, dass Mafuyu nicht nur musikalisches Talent hat, sondern auch eine wahnsinnig tolle Stimme, wird er zum vierten Mitglied der Rockband. Für einen anstehenden Auftritt schreibt Uenoyama sogar einen Song für ihn.

Es zeigt sich jedoch bald, dass Mafuyu ein Ereignis in sich verschließt, welches der Grund für seine traurige, verschlossene und emotionslose Art ist und ihn sich nur sehr widerwillig seiner neuen Aufgabe und den neuen Freunden öffnen lässt: Ein ehemaliger Klassenkamerad, mit dem Mafuyu eine Beziehung geführt hat, nahm sich vor nicht all zu langer Zeit das Leben. Gegen Ende des ersten Bandes wird deutlich gezeigt, dass Mafuyu den Schmerz und die Trauer über den Tod des Freundes, dessen Gitarre er nun bei sich trägt, noch nicht verarbeitet hat und dies der Grund für sein reserviertes Verhalten ist. Gleichzeitig zeigt sich, dass dieses Wissen auch bei Uenoyama Spuren hinterlässt. In die Sorge um den neuen Freund und seine persönliche Betroffenheit über dessen Schicksal mischt sich ein drittes Gefühl – rasende Eifersucht auf den jungen Mann, der selbst tot (noch) Mafuyus Liebe für sich vereinnahmt.

Artwork / Gestaltung

Given ist endlich mal wieder ein Manga, bei dem mich das Artwork und die Gestaltung restlos begeistern und das beginnt bereits beim Cover. Während viele BL-Manga farbenprächtige und teilweise recht anzügliche und / oder kitschige und ziemlich plakative Titelmotive präsentieren, besticht das Titelbild von Given durch ein sehr cooles Gruppenbild der vier Protagonisten mit ihren Instrumenten, das sich durch die Schwarz-Weiß-Kolorierung eindrücklich vom bunten Hintergrund abhebt. Die Liebe fürs Detail erkennt man auch am Titelschriftzug, beim dem das i mit den Stellknöpfen (oder wie auch immer man die Dinger nennt) einer Gitarre verziert ist. Das alles wirkt sehr modern und lässig und lässt keinen Zweifel daran, dass das Werk definitiv einen der neueren Beiträge auf dem Manga-Markt darstellt. Gleichzeitig wird dem Leser sofort deutlich gemacht, dass in dieser Reihe nicht nur die Beziehung der Protagonisten im Zentrum steht, sondern vor allem auch die Musik an sich und die Liebe zu dieser. Sehr schön finde ich übrigens auch, wie bereits im Titelbild die ersten Anklänge des Verhältnisses der Protagonisten zueinander zu erkennen sind. Wenn ihr im Abschnitt „Figuren“ weiterlest, werdet ihr sehen, dass es sehr viel Sinn macht, wie Uenoyama Mafuyu auf dem Cover das Mikrofon vor die Nase zu halten scheint…

Wie in Ten Count gefällt mir auch an Given die sehr übersichtliche und strukturierte Einteilung der Panele. Es gibt keine Zeichnungen, die über den Rand hinausragen oder wie willkürlich in eine Seite eingefügt scheinen, ohne durch ein Panel begrenzt zu werden. Hinzu kommen wunderschöne Einzel- oder Doppelseiten, die ohne weißen Hintergrund maximal ein oder zwei Panele nebeneinander stellen und dem Leser die Möglichkeit geben, das Artwork in seiner ganzen Pracht bewundern zu können. Wofür ich im Übrigen auch sehr dankbar bin: Endlich wieder ein Manga, der wenigstens teilweise auf die kleinen ‚Entenschwänze‘ zurückgreift, die eine eindeutige Zuordnung der Denk- und Sprechblasen ermöglichen. Es gibt so viele Manga, die mich teilweise wirklich verwirrt zurück lassen, weil ich keine Ahnung habe, welcher Text von welcher Figur gesprochen wird. Leider kann man sich dies nicht in allen Fällen über den Kontext oder die Zeichnungen erschließen und viele Verlage oder Mangaka scheinen diesen Umstand rigoros zu ignorieren. Given tut dies zum Glück nicht!

Und – halleluja – ich liebe die Art und Weise, auf die die Rasterfolie und die Grauschattierungen im Manga eingesetzt werden! Durch diese Technik entsteht die sehr eindrucksvolle Illusion von Licht und Schatten, mit deren Hilfe die gesamte Szenerie sehr plastisch wirkt. Viele Bereiche der Zeichnungen liegen im Halbschatten und dies betrifft häufig auch die Gesichter der Figuren. Werden diese vollkommen weiß gehalten, wirken sie wie in strahlendes Licht getaucht, was in vielen Fällen die Stimmung der entsprechenden Szene unterstreicht. Nicht nur die Szenerie, sondern auch die Gedanken und Gefühle der Protagonisten wirken erhellt und klar. Die strukturierte Rasterfolie, die für viele Hintergründe oder kleine Details der Zeichnungen eingesetzt wird, bildet ebenfalls eine reizvollen Kontrast zu den deckend kolorierten schwarzen und grauen Flächen des Artworks. Sehr schön werden hierdurch zum Beispiel reale Strukturen von Gegenständen und Kleidungsstücken wiedergegeben oder es wird sehr plastisch eine Stimmung einer Figur im Hintergrund gespiegelt. Wenn Uenoyama beispielsweise wütend wird, erscheinen kleine dunkle Rauchwolken als Hintergrund, der das betreffende Panel füllt. Die Hintergründe sind im Übrigen recht detailliert und real gestaltet, halten sich aber dezent zurück und kommen eher reduziert zum Einsatz.

Der Zeichenstil von Natsuki Kizu gefällt mir außerordentlich gut. Das er zudem sehr individuell ist, zeigt sich wohl daran, dass mir keine Mangaka einfällt, mit deren Artwork ich die Zeichnungen in Given vergleichen könnte. Vielleicht ähnelt Natsuki Kizus Stil noch am ehesten dem von Ogeretsu Tanaka, die It’s the Journey not the Destination gezeichnet hat. Auch hier findet man diese sehr realistischen, detaillierten und vor allem modernen Zeichnungen, die sich trotzdem den typischen Charakter eines Manga erhalten. Ich finde es sehr schön, wie auch hier mit Kontrasten gespielt wird und sich besonders die Gesichtszüge der Figuren zeichnerisch an ihren jeweiligen Charakter anlehnen. Während Mafuyus Gesicht mit klaren Umrissen gestaltet wird, wirken seine Gesichtszüge und besonders die Augenpartie durch das helle Grau transparent und entrückt, eben genau so, wie Mafuyu dem Leser zunächst als Figur erscheint. Im Gegensatz dazu bildet Uenoyamas Augenpartie einen stärkeren Kontrast, der durch sein pechschwarzes Haar und die dementsprechend dunklen Wimpern und Brauen erzeugt wird. Es ist sehr gelungen, wie die beiden Figuren bereits visuell miteinander beziehungsweise gegeneinander agieren und damit der gegensätzliche Charakter und das entstehende Spannungsverhältnis abgebildet werden. Sehr gut umgesetzt ist in diesem Kontext auch die Mimik der Charaktere. Ich persönlich finde, dass es das Schwierigste ist, menschliche Emotionen auf eher realitätsferne Zeichnungen (Comicfiguren) zu übertragen und diese Gefühle trotzdem noch für den Leser verständlich im Gesichts der Charaktere abzubilden. Der Mangaka gelingt dies mühelos und zum Teil sogar sehr humorvoll, etwa dann, wenn Uenoyama die Gesichtszüge entgleisen, weil er sich mal wieder über Mafuyu ärgert oder wundert oder ihn einfach ungläubig anstarrt. Die Figuren gewinnen durch dieses Können an Tiefe und Authentizität und wirken sehr individuell. Uenoyama erinnert mich mit seinen kleinen temperamentvollen Ausbrüchen oft an eine kleine und wütende Version von Kageyama Tobio aus Haikyuu. Alle, die Given und besagten Anime oder Manga kennen, dürften jetzt grinsend nicken *zwinker*. Ich finde wirklich, dass die beiden Geschwister sein könnten. Und selbst Mafuyus teilnahmsloser oder verträumter beziehungsweise schläfriger Blick ist mit sicheren Strichen eingefangen.

Insgesamt wirken die Figuren weder in Bezug auf ihre Gesichtszüge noch in Bezug auf ihre Frisuren oder den Kleidungsstil (der übrigens ebenfalls erfrischend modern ist) austauschbar. In diesem Kontext gefallen mit die langen Haare und die Piercings von Uenoyamas Bandkollegen, die diesen beiden Figuren ebenfalls einen ganz eigenen Charakter verleihen. Die stets fehlerfrei wiedergegebenen Proportionen und der sehr gefestigte Zeichenstil der Mangaka zeigen sich in der relativ zielgerichteten und trotzdem feinen Strichführung, durch die sich das Artwork von Given auszeichnet. Der Manga wirkt wie mit einem Feinliner gezeichnet, so dass sehr dezente Zeichnungen entstehen, die sich nichtsdestotrotz durch kräftige Akzente hervorheben. Eine wahre Augenweide sind die Porträtzeichnungen. Trotz – oder vielleicht gerade wegen – ihrer Schlichtheit, die primär wenig Arbeit in die Darstellung der Iris investiert, sind die großformatigen Zeichnungen der Gesichter von einer sehr reinen – ja beinahe nackten – Schönheit, die nicht zuletzt auch aus der ausdrucksstarken Emotionalität und dem Staunen, der Überraschung und dem Schrecken erwächst, die häufig auf diesen abgebildet werden. Die Zeichnungen (insbesondere der Gesichter) faszinieren insgesamt durch die Mischung aus Feinheit, Kantigkeit und eine gewisse Reduziertheit. Auch einzelne Gesten sind in diesem Zusammenhang wundervoll und faszinierend intensiv illustriert, etwa, wenn Uenoyama sich vorbeugt und Mafuyu die Haare aus dem Gesicht streicht. Obwohl die Figuren im ersten Band körperlich nur sehr wenig miteinander interagieren, schaffte die Mangaka es, ein Band aus Emotionen und Gefühlen zwischen ihnen zu knüpfen, dass sich in den Zeichnungen widerspiegelt und dem auf eine sehr eindrückliche und packende Art und Weise vermittelt wird. Mir ist fast das Herz stehen geblieben, als Uenoyama Mafuyu am Kragen packt und ihn mit wutverzerrtem Gesicht betrachtet, weil er seine eigenen Emotionen kaum noch im Zaum halten kann. Gerade das Verhältnis zwischen diesen beiden Charakteren wirkt aufgrund solcher und ähnlicher Gesten emotional sehr aufgeladen und explosiv. Ich denke, man kann sagen, dass zwischen diesen beiden die Funken fliegen, nicht nur in Anspielung auf ein künftiges Liebesverhältnis.

Erotik (oder Nicht-Erotik)

Bis hier ist es ja bereits angeklungen und nun muss ich es leider auf den Punkt bringen: Im ersten Band von Given herrscht in Liebesdingen absolute Flaute. Uns schmachtenden Fujoshis wird nicht einmal ein Kuss gegönnt. Trotzdem sorgen viele dezente Andeutungen dafür, dass ich mir relativ sicher bin, dass es spätestens in Band zwei etwas intensiver zur Sache gehen wird, zumindest was Küsse und zärtliche Gesten anbelangt. Vor allem die letzte Szene zwischen Mafuyu und Uenoyama macht doch recht deutlich, dass zumindest die Gefühle des Letzteren beginnen, über ein rein freundschaftliches Verhältnis hinaus zu reichen. Da Uenoyama eine impulsive Figur ist, die schnell gereizt auf alles reagiert, was mit Mafuyu zusammenhängt, dürfte eine der nächsten Konfrontationen ausreichen, um ihn an seine Grenzen zu bringen beziehungsweise ihn die Grenze zwischen Freundschaft und Liebe überschreiten zu lassen. Sehr gespannt dürfen wir darüber hinaus auch sein, wie sich das Verhältnis zwischen den anderen beiden Bandmitgliedern, Haruki und Kaji, entwickeln wird. Mein BL-Näschen wittert hier ebenfalls eine heiße Romanze! Die Beziehung dürfte keine ganz so dramatische Wendung nehmen [Update 08.08.2019: So kann man sich irren…] wie die von Uenoyama und Mafuyu, aber die ein oder andere Geste lässt doch hoffen, dass sich die Band in Band zwei als durch und durch homosexuell erweisen wird. Klingt das komisch? Was soll ich sagen – so wird man halt, wenn man BL-Manga liest und liebt. Hinter jeder unauffälligen Berührung könnte das nächste große Abenteuer lauern!

Dass es im ersten Band von Given keine erotischen Szenen gibt, heißt jedoch nicht, dass er von der Mangaka in dieser Hinsicht vollkommen spannungsfrei gehalten wird. Ganz im Gegenteil, ich bin beim Lesen an zwei oder drei Stellen aufgeregt und hektisch quer über mein Bett gerollt (hat zum Glück mal wieder niemand gesehen), weil das emotionale Spannungsverhältnis zwischen Uenoyama und Mafuyu kaum zu ertragen war. Besonders Uenoyama arbeitet sich am lethargischen Mafuyu auf der Ebene der Gefühle so ab, dass er die ganze Zeit kurz vorm Explodieren zu stehen scheint. Eigentlich wartet man die ganze Zeit auf den ersten Kuss, wenn Uenoyama Mafuyu herumreißt oder ihn am Kragen packt und ihn in dem Versuch zu sich heranzieht, ihm die Meinung zu sagen, ohne eigentlich genau zu wissen, wo er ansetzen oder wie er seine Gefühle in Worte fassen soll. In der Regel bleibt es dann bei einer flüchtigen Berührung, die sich im Gefühlschaos von Uenoyama auflöst und ohne wirkliche Zielrichtung verpufft.

In diesem Zusammenhang finde ich die Kästchen mit den Gedankenbeigaben für einen Manga sehr poetisch, denn sie scheinen von Uenoyama als Erzähler auszugehen und deuten kommende Ereignisse in den nächsten Bänden an oder geben Gefühle wieder, die in den Denk- oder Sprechblasen keinen Platz zu finden scheinen. Überhaupt finde ich die Position des Erzählers in Given sehr interessant, denn er scheint zwar deckungsgleich mit Uenoyama zu sein, trotzdem aber sehr viel mehr zu wissen als dieser selbst. Es kann natürlich auch sein, dass Uenoyama der Erzähler ist und den Manga quasi in Rückblende erzählt beziehungsweise es diese Illusion ist, die die Mangaka schaffen will. Auch in dieser Hinsicht lohnt es sich daher, in der Buchhandlung eures Vertrauens nach diesem Manga zu greifen, denn die Textelemente sind wirklich schön übersetzt, im Verhältnis zu den Zeichnungen ausgewogen und nicht so oberflächlich wie in einigen anderen BL-Manga. Auch der Humor kommt – trotz des sehr ernsten Grundthemas – nicht zu kurz. Die kleinen Karikaturen und eingestreuten witzigen Szenen, die hauptsächlich Uenoyama verursacht, der sich wieder einmal über Mafuyu ärgert, sind wirklich niedlich anzusehen und lockern den gesamten Manga etwas auf.

Figuren / Handlung

Wie bereits angedeutet, prallen mit Uenoyama und Mafuyu zwei augenscheinlich sehr gegensätzliche Charaktere aufeinander. Ich finde, man kann nach dem ersten Band grundlegende Persönlichkeitsmerkmale der beiden ausmachen, aber völlig erschließen tun sich die Figuren dem Leser noch nicht. Das finde ich wiederum aber gar nicht so schlimm, denn prinzipiell mag ich es, wenn sich die Handlung eines Manga und die Beziehungen zwischen den Figuren langsam entwickeln, denn so bleibt der Mangaka viel mehr Raum für Überraschungen und ausgefeilte Charakterstudien. Uenoyama scheint ein impulsiver und aufbrausender Charakter zu sein, der seinen Gefühlen freien Lauf lässt, wenn sie ihn zu überwältigen drohen. Er ist darüber hinaus sehr offen und sagt ohne Umschweife deutlich seine Meinung, wenn ihm etwas nicht passt oder er mit einer Situation nicht umgehen kann. Einen wesentlichen Teil seines Charakters bildet die Leidenschaft für Musik, die im Übrigen alle Mitglieder der Band auf sehr intensive Weise miteinander verknüpft. Diese Leidenschaft scheint bei Uenoyama gegenwärtig etwas nachgelassen zu haben, da ihm neue Anreize und Herausforderungen fehlen. Seine E-Gitarre beherrscht er in Perfektion. Aufgrund der mangelnden Antriebsquelle führt die Figur zu Beginn der Reihe ein etwas lethargisches Leben und lässt sich durch den Schulalltag treiben, den Uenoyama hauptsächlich zum Schlafen zu nutzen scheint. Die Figur ist im Grunde ihres Herzens jedoch ebenfalls sehr fürsorglich und nimmt echte Anteilnahme an den Problemen und sorgen ihrer Freunde, wenngleich Uenoyama diese Seite seiner Persönlichkeit gut hinter seiner etwas ruppigen Fassade zu verbergen weiß. Mafuyus Schicksal rührt ihn auf ehrliche Art und Weise, was auch die anderen beiden Bandmitglieder nicht unkommentiert lassen und offensichtlich bemerken, dass Uenoyama sich verändert und Mafuyu zunehmen zum Zentrum seiner Gedanken und Gefühle wird.

Aus dieser Lethargie reißt ihn unerwartet Mafuyu, der ihn bei ihrem ersten zufälligen Treffen um Gitarrenstunden bittet. Nach einigem Widerwillen und anfänglichem Sträuben gibt Uenoyama diesem Wunsch nach und entdeckt bald Mafuyus tolle Gesangsstimme und sein musikalisches Talent. Mafuyu ist eine Figur, die nicht nur für Uenoyama, sondern auch für den Leser sehr schwer einzuschätzen ist. Er wirkt anfänglich sehr verträumt und etwas weltentrückt, doch bald wird klar, dass sich hinter dieser Fassade ein sehr trauriger, wenn nicht sogar traumatisierter, Junge verbirgt. In der zweiten Hälfte des ersten Bands öffnet sich Mafuyu ein klein wenig und lässt zumindest Haruki erkennen, welche seelische Last er auf seinen Schultern trägt. Uenoyama scheint diese Last mehr zu ahnen als um sie zu wissen, denn er spürt ihre Existenz in Mafuyus Gesang und seinem musikalischen Ausdruck. Die Wortkargheit und Verschlossenheit von Mafuyu resultieren augenscheinlich aus dem Selbstmord seines Freundes, dessen Gitarre er übernommen hat und der selbst Musiker gewesen zu sein scheint. Wir erfahren leider noch nicht die Hintergründe für den Selbstmord, doch die erste Szene legt nahe, dass es Mafuyu gewesen ist, der den erhängten Freund gefunden hat. Dies ist so weit jedoch nur meine eigene Theorie. Damit greift der Manga neben der Musik die Selbstmordthematik auf, die in Japan sehr populär ist, da Suizidversuche hier wesentlich häufiger vorkommen und als normaler betrachtet werden als im europäischen Raum. Gegen Ende des ersten Bands erklärt Mafuyu seine Wortkargheit Haruki gegenüber mit den Worten, dass der Tod des Freundes ihm die Sprache verschlagen habe und er seitdem nicht mehr wisse, was er sagen und worüber er mit anderen Menschen sprechen solle. Diese Sprachlosigkeit aus Trauer, im Angesicht derer für Mafuyu alles bedeutungslos zu werden scheint, wird durch seinen Bandbeitritt und die Begegnung mit Uenoyama etwas aufgebrochen.

Die beiden Figuren reiben sich aneinander, da Mafuyus Verhalten völlig gegensätzlich zu der Einstellung ist, die Uenoyama gegenüber der Musik und Sprache hat. Er drückt in der Musik (zunächst) nicht seine Gefühle und seine Impulsivität aus, die ihn im Wesentlichen ausmacht. Bisher war Uenoyama ein Perfektionist, der seine Gitarre vollkommen beherrschen wollte. Nachdem ihm dies annähernd gelungen ist, nahm seine Begeisterung für die Musik und das Gitarrespielen etwas ab. Mafuyu ist es, der dieses Verlangen in Uenoyama wieder zum Aufflammen bringt. Durch die (musikalische) Interaktion mit diesem fühlt Uenoyama sich inspiriert und beginnt nun damit, die Musik auch auf der Ebene der Gefühle und Emotionen zu verstehen und zu instrumentalisieren. Die Musik wird zum Abbild seines Seelenlebens. Ich denke, man kann durchaus sagen, dass Mafuyu sich als Uenoyamas Muse zu erweisen scheint. Seine Stimme und die Trauer in ihr sind es, die Uenoyama schließlich zur Komposition eines Songs für Mafuyu animieren. Ich kann es gar nicht mehr erwarten, Mafuyu diesen Song im zweiten Band singen und spielen zu sehen, denn ich bin sicher, es wird etwas Magisches geschehen [Update 08.08.2019: Richtig getippt]! Mit der Aufgabe betraut, für Uenoyamas Komposition einen Songtext zu schreiben, scheint auch Mafuyu damit zu Beginnen, sein Schweigen und seine Wortlosigkeit zu reflektieren und damit den ersten Schritt zu tun, um seinen Seelenschaden zu verarbeiten. In der letzten Szene öffnet er sich Uenoyama so weit, dass er ihm gegenüber zum ersten Mal die Person erwähnt, die er geliebt hat. Uenoyama wiederum, der durch eine Klassenkameradin bereits zu einem früheren Zeitpunkt von Mafuyus Homosexualität und der Beziehung zu seinem ehemaligen Klassenkameraden erfahren hat, realisiert endlich, was er Mafuyu gegenüber tatsächlich empfindet und was ihn in dessen Gegenwart bisher emotional so aufgerieben hat: Er ist eifersüchtig auf Mafuyus ehemaligen Freund und die Liebe, die Mafuyu diesem gegenüber immer noch verspürt und die ihn vereinnahmt und der Welt entrückt. Leute, was für ein Finale! Ich fürchte, wenn im zweiten Band die Bombe platzt, werde ich irgendetwas zertrümmern, einfach deshalb, um dieses schreckliche Gefühl der Angespanntheit loszuwerden.

Fazit

Wer neben BL- auch gerne mal einen Shōnen Ai-Manga zur Hand nimmt, der sollte bei Given von Natsuki Kizu ohne Überlegen zuschlagen. Der Mange bietet, abgesehen von erotischen Szenen und Küssen, auf die man leider (vorerst) verzichten muss, alles, was einen guten Manga ausmacht: Psychologisch durchdacht angelegte Figuren, tolle Dialoge, ein spannendes Setting, Emotionen satt und dazu noch wundervolle Zeichnungen. Eigentlich dürfte hier kein Fujoshi-Herzenswunsch offen bleiben, zumal der erste Band mehr als hoffen lässt, dass sich die Geschichte im zweiten Band, der im Juli 2018 erscheinen wird, in Richtung einer wirklichen Liebesgeschichte zwischen den beiden Hauptcharakteren Mafuyu und Uenoyama entwickeln wird. Eventuell sogar inklusive eines weiteren heißen Techtelmechtels zwischen Haruki und Kaji, den anderen beiden Bandmitgliedern. Zumindest wittere ich hier ein lohnenswertes Spinn-Off! Was man allerdings nicht aus den Augen verlieren sollte: In Given steht zunächst einmal die Musik im Mittelpunkt und die Mangaka fokussiert sich hauptsächlich darauf, wie Musik als Kommunikationsmittel eingesetzt werden kann und mit ihr eben das ausgedrückt wird, was die Figuren nicht in Worte zu fassen vermögen. Auch in dieser Hinsicht lässt der Manga für den Folgeband noch sehr viel Raum, um diese Thematik zu vertiefen. Man braucht keine musikalischen Vorkenntnisse, um dem Manga folgen und ihn verstehen zu können, aber es geht doch auch um Fachfragen und musikalische Strömungen, die ich zum Beispiel nicht kannte. Etwas Grundlagenwissen kann also durchaus nützlich sein. Sehr niedlich sind im Übrigen auch die Figurenporträts, die über den ersten Band verteilt zwischen die Kapitel eingefügt sind. Uenoyama und Co. bilden einfach eine verdammt coole Band und beim Betrachten der Zeichnungen kam doch das ein oder andere Fangirl-Gefühl in mit hoch. Aber um es kurz und knapp zu machen: Wer diesen Manga als BL-Fan nicht liest, der verpasst ganz sicher etwas. Ich glaube, Given könnte auf meiner Top-Ten-Liste der Neuerscheinungen 2018 am Ende des Jahres ganz oben landen.

Jaa mata ne, eure Amaya!


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